Irena Brezná, Die beste aller Welten

Irena Brezná, Die beste aller Welten

Der Schutzumschlag ist ein echter Hingucker: Grau, mit weißer Schrift (in rotem Rahmen) und drei knallroten Hühnern, zwei links-, eins rechtsguckend. Das I-Tüpfelchen wäre ein knallrotes Lesebändchen ge-wesen! Gibt’s aber nicht!!
Der Roman ist aus der Perspektive der aufgeweckten 11-jährigen Jana geschrieben, die in der sozialisti-schen Tschechoslowakei aufwächst, mit einem „bürger-lichen Element“ als Vater, der nicht mehr als Anwalt arbei-ten, sondern Brücken bauen darf, einer proletarischen Mutter, die sehr auf ihren Vorteil bedacht ist, sich gekonnt in Szene setzt, um zu erreichen, was sie will und dennoch inhaftiert wird, einem Bruder, der sie ständig piesackt und schlägt: „Mich brauchen die Erwachsenen nicht zu prügeln. Das erledigt der Bruder.“ und einer sehr an der Vergangenheit orientierten Großmutter.
Jana, die sich selbst als Gedankensammlerin bezeichnet, hat ein unglaubliches Gespür für Sprachen: Es gibt die „große Sprache“ des kleinen Landes mit einem großen Freund, die in der Schule  von der „Kameradin Lehrerin“ gelehrt wird. Das aufgeweckte Mäd-chen fragt sich nach dem Haken: „WIR SIND EIN KLEINES LAND mit einem großen Freund. Ich kann allerdings nicht glauben, dass ein Großer einen kleinen Freund nötig hat. In der Schule  geben sich die Großen nicht mit den Kleinen ab. Es muss einen Haken haben, dass sich das größte Land für uns interessiert. “ Und diesen Haken begegnet sie immer wieder in ihrem Alltag: Es gibt die Sprache zu Hause, die sich auf keinen Fall mit der draußen vermischen darf: „In unserem Land sind Worte gefährlich. … Nichts was hier (zu Hause) gesprochen wird, darfst du in der Schule weitererzählen. Im Kopf habe ich eine Trennwand errichtet, rechts leben Familienworte und links Schulworte. Es gibt zwei Welten und zwei Sprachen, und ich gehe täglich wie eine Doppelagentin hin und her.“ Und dann gibt es da noch die Weltsprache, für die sich Jana interessiert. Doch ihr Ehrgeiz weckt sogleich Verdacht:“ Kamera-din Lehrerin findet meinen Eifer verdächtig und fragt schon zum dritten Mal, ob ich überhaupt zu unserem Vol-ke gehöre.“ Es gibt aber auch noch die Sprache des Feindes und viele weitere Sprachen, die für Jana eines gemeinsam haben: Sie erfährt durch jede eine Neuheit, eine Erweiterung ihrer selbst: „Dank der weiten Sprachen bin ich erweitert, bin ein neuer Mensch.“ Lange macht sich Jana Sorgen ob nicht eins ihrer Worte zur Verhaftung der Mutter verantwortlich ist.
Der Roman führt den Leser aus der Perspektive einer Elfjährigen episodenhaft in die sozialistische Welt der 60iger Jahre ein,  die wie alle Jugendlichen nach Vorbildern sucht und gleichzeitig das Eigene, Individuelle heraus-finden und leben will. Überraschender Weise – oder auch nicht! – gibt es viele Parallelen zwischen der „östlich sozialistischen“ und der „bürgerlich westlichen“ Welt der 60iger Jahre.
Es ist ein in jeder Hinsicht sehr eigenwilliger  Roman, der Janas Jugend und ihr Erwachsenwerden an Episoden verdeutlicht, nicht anhand einer stringenten Handlung. Durch die humorvolle, z.T ironisch, satirisch, bis-weilen sarkastische Darstellung wird viel (sprachliches) Gespür für die Untiefen des Alltags deutlich, die hier wie dort zu bewältigen gewesen sind. Es ist ein sehr lesenswerter Roman, vor allem für sprachinteressierte Leser, denn der Roman ist eine Fundgrube von Neologismen, sprachlich originell dargestellten Situa-tionen und Begebenheiten.

Irena Brezná, Die beste aller Welten, Roman, 2. Aufl. Berlin 2008,164 S. ISBN 978-3-93874-72-9

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