Julia Albrecht, Corinna Ponto, Patentöchter

Julia Albrecht, Corinna Ponto, Patentöchter

Man erinnere sich: Jürgen Ponto wird 1977 in seinem Haus in Oberursel ermordet. Susanne Albrecht, die Patentochter Jürgen Pontos, hat Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar den Zutritt zum Hause Pontos ermöglicht. Die geplante Entführung führt zur Ermordung Jürgen Pontos. Auf der Beerdigung sehen sich die beiden Familien das letzte Mal. „Deine Eltern und wir waren in diesem Moment noch eine Schicksalsgemeinschaft.“ Später wünscht die Witwe Ponto keinen Kontakt mehr zur Familie Albrecht.

Etwa 30 Jahre danach nimmt Julia Albrecht Kontakt zu Jürgen Pontos Tochter Corinna auf. Sie treffen sich und beschließen, ihre jeweiligen (Lebens-)Geschichten, ihre Sicht der RAF und ihren Umgang mit dem Ereignis in Oberursel und die Auswirkungen auf ihr Leben aufzuschreiben, das für beide eine besondere persönliche Tragik hat, denn Corinna hat ihren Vater verloren, Julia ihre Schwester, die erst nach ca. 13 Jahren als Bürgerin der DDR enttarnt wird.
Julia ist nach der Ermordung stets nur die Schwester von Susanne: “ Susanne war allgegenwärtig. Stets war sie schon vor mir da. Überall in der Stadt, an jedem Bahnhof, an jeder Post, an Schaufenstern von Banken und an Litfaßsäulen hing sie.“ Und niemand, mit dem Julia über ihren Schmerz reden kann, ihre Schwester verloren zu haben, nach der sie eine große Sehnsucht hat, deren Radikalisierung sie nicht versteht und lange nach ihren Ursachen sucht. Gleichzeitig sieht sie auch den Schmerz ihrer Eltern, die für sich auch erst einmal einen Weg finden müssen, mit der Tatsache zu leben, dass ihre Tochter Mitglied der RAF und in den Untergrund gegangen ist.
Corinna erfährt die Ermordung ihres Vaters in London, wo sie zu der Zeit lebt. Sie, die  bis dahin, „alles in einer vertraut privaten, glaskugelähnlichen Atmophäre erlebt“ hat, sieht sich nun der „angespannten Neugier“ einer Öffentlichkeit ausgesetzt, die über ihre Medien „bei der Beerdigung die gierig ausgefahrenen Kameras hinter der alten Friedhofsmauer“ installieren lässt. Ihre Mutter hält diesem Druck nicht stand und siedelt nach Amerika über. Nach der Festnahme Susannes öffnet sich die „festzugeschnürte Kiste“, in der Corinna Susannes Namen und die Ereignisse gepackt hatte. „Wieder wurde einem die Kraft geraubt, der eigene Weg verstellt. Mord ist immer auch Raubmord: Ein Teil deiner eigenen Geschichte und deiner Kraft wird dir gestohlen.“Corinna beginnt- ähnlich wie der Sohn Bubacks – eigene Nachforschungen anzustellen und trifft immer wieder auf Ungereimtheiten, Widersprüche, die dann einen Sinn ergeben, wenn die RAF „kein Deutscher ‚Baader Meinhof Komplex‘, sondern ein international vernetzter Ost-West-Konflikt“ gewesen ist. „Ein System der professionell geschulten und eingesetzten Doppelgesichter.“
Ihr Fazit ist in diesen Fragen zu sehen:
„Bei der Aufarbeitung der NS-Zeit war die Kernfrage über Jahrzehnte: Was wussten die Deutschen? Bei der RAF-Aufarbeitung schien es irgendwie darum zu gehen: Was sollen die Deutschen nicht wissen?“ Da nach ihren Aussagen viele Akten bis 2063 gesperrt sind, wird diese Frage wohl noch länger auf eine nachprüfbare Antwort warten müssen.
Corinna verlangt nach rückhaltloser Aufklärung. Julias Fragen sind eher die nach der Schuld und der Möglichkeit von Versöhnung. Beiden gemeinsam ist die Tatsache, dass sich die Öffentlichkeit aus ihrer Sicht mehr mit den Tätern als mit den Opfern beschäftigt hat.
Allerdings ist die Darstellung ihrer persönlichen Sicht auf die Ereignisse sicher nur die „Spitze des Eis-berges“, – das, was öffentlich darstellbar ist und dargestellt werden kann.

Julia Albrecht, Corinna Ponto, Patentöchter. Im Schatten der RAF- ein Dialog. Köln 2011, 204 Seiten u. Zeittafel, Personenregister, ISBN 978-3-462-04277-1

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