Anna Mitgutsch, Wenn du wiederkommst

Anna Mitgutsch, Wenn du wiederkommst

„Die Trauer um den Lebensmenschen ist eine unerträgliche Sehnsucht.“ Dieser Satz von Anna Mitgutsch ist das Fazit dieses Romans. Der Titel „Wenn du wiederkommst“ ist Ausdruck dieser unerfüllbaren Sehnsucht, denn der Lebensmensch ist tot, augenscheinlich, unwiderruflich, für immer, und dennoch …

Der Roman konfrontiert den Leser gleich zu Beginn mit dem Ende einer offensichtlich komplizierten, unkonventionellen und dennoch nahezu lebenslangen Beziehung zwischen der Ich-Erzählerin und Jerome, einem in den USA lebenden jüdischen Anwalt. Die Bank, auf der sie das letzte Mal an einem „Tag im April“ gemeinsam gesessen haben, wird für sie zu einem Raum, in dem sie sich in ihrer „Verlassenheit geborgen“ fühlt. „Hier gibt es keine Erinnerungen an Zwist und Verrat, hier sind die letzten kostbaren Stunden bewahrt, die wir zusammen hatten.“

Die weiteren Kapitel sind angelehnt an die jüdischen Trauerrituale von einer Woche, dreißig Tagen, dem Trauerjahr und dem ersten Todestag, einer Struktur, die der christlichen nicht unähnlich ist. Dieser Roman ist im Grunde eine Art Trauertagebuch, in dem die hinterbliebene Partnerin versucht, mit dem Tod ihres Lebensmenschen zurechtzukommen. Sie hatte geglaubt, dass ihr durch frühere Verluste die Dunkelheit als Folge des Todes vertraut sei, doch sie muss sämtliche Schritte der Trauerverarbeitung erleben, erleiden:

„Zuerst kommt das sich Aufbäumen, denn man stößt mit dem Tod zusammen und trägt die ganze Kraft des noch ungebrochenen Lebens in diese Kollision hinein. Es beginnt mit der Todesnachricht mitten an einem angenehm bedeutungslosen Tag, und man glaubt sie nicht, weil das Unvorstellbare keinen Platz im Leben hat. … Ich steige immer noch hinunter an der Hand des Todes, Stufe um Stufe. Nach der Abwehr, dem sich Aufbäumen und der Wut folgt die Betäubung, …“

Der Roman lässt einen an ihren Gedanken, Zweifeln, ihren Gefühlen, ihrer kaum zu ertragenden Einsamkeit inmitten der vielen Menschen teilhaben, macht die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen deutlich, die zum Teil hilflos sind und sich in gut gemeinte, dennoch wenig heilsame Ratschläge flüchten, die die Ich-Erzählerin versuchen auszugrenzen, da sie ja nur die EX sei, der kein Recht auf Teilhabe zugesprochen wird, obwohl die beiden stets ein Paar gewesen sind. Der Verstorbene wird wieder „zum Leben erweckt“, indem verschiedene Personen ihre Erinnerungen an ihn erzählen, die so unterschiedlich sind, dass man nicht selten das Gefühl hat, es ist von verschiedenen Personen die Rede.

Die Beziehung der beiden, ihre oft nur schwer zu vereinbarenden Wünsche, Sehnsüchte, Vorstellungen von Freiheit und Selbstständigkeit, ihr Ringen um Zusammenhalt , in und außerhalb ihrer Ehe, wird in all ihren Widersprüchlichkeiten spürbar. Jerome war trotz ihres Freiheitsdrangs ihr Zuhause. „Sein widerstandskräftiger, kompakter Körper und sein unerschütterliches Vertrauen, daß es für jede Unbill eine Lösung und aus jeder Sackgasse einen Ausweg gäbe, schützten mich vor meiner Lebensangst.“

Nebenbei erfährt der Leser vieles über die körperlichen Symptome von Trauer: innere Kälte, Appetit-, Schlaflosigkeit trotz Müdigkeit, Herzschmerzen, Stiche in der Brust, Luft- Atemnot, Angst und Panikattacken, die der Trauernde in der Regel mit sich selbst ausmachen will.

Und es wird das Außen des Prozesses beschrieben: Das Begräbnis, die Trauerrituale und später das Sichten, Aussortieren der Hinterlassenschaft, das Auseinanderfallen einer Wohnung in einzelne glanzlose, oft schäbige Gegenstände: „Die meisten Gegenstände haben ohne ihn ihren Sinn verloren, sie liegen vereinzelt, zusammenhanglos herum, als habe man einen Magnet, der sie zusammenhielt entfernt.“

Die Frage nach der Zukunft ohne den Lebensmenschen wird zwar gestellt, doch die Zeit für eine Antwort ist noch nicht da. „Ich weiß, es war nur unsere kleine, für andere bedeutungslose Welt, die der Tod ausgelöscht hat, aber für uns war sie groß und umfassend wie das Universum.“ Und sich von einem Universum zu verabschieden, braucht Zeit, viel Zeit. Und auf Verständnis kann man dabei nicht hoffen.

Es ist ein berührender, bewegender Roman, der versucht, die vielen Facetten dieses untergegangenen Universums zu beleuchten, er stellt Fragen nach der Wirklichkeit jedes einzelnen, danach wer bin ich mit einem Partner, aber auch ohne ihn. Wie will ich leben, was erwarte ich und wo kann ich Hilfe und Trost bekommen. Folgende Empfehlung gehört sicher nicht dazu: “ Ich solle mir grellroten Lippenstift und ein einladendes Wesen zulegen, wenn ich Hilfe bräuchte, kein Mann würde mich so, wie ich jetzt aussähe, eines zweiten Blickes würdigen.“

Anna Mitgutsch, Wenn du wiederkommst, Roman, München 2011, einschließlich Glossar 272 S., , ISBN 978-3-442-74202-8

7 Gedanken zu „Anna Mitgutsch, Wenn du wiederkommst

  1. Das liest sich wie mit hoher persönlicher Betroffenheit geschrieben, was es wohl auch ist…
    Ausgehend vom unfassbaren Ereignis…
    Ein ähnlicher Ratschlag wie der mit dem Lippenstift wurde ja letzthin auch meiner Freundin gemacht, die doch bitte aufhören soll, noch immer zu trauern und sich wieder „für den Markt“ aufbereiten solle…
    Gruß von Sonja

  2. Danke für den Buchtip. Das klingt interessant.
    Jetzt bin ich bald mit den „Hellen Tagen“ von Banks fertig(danke auch für den Tip, hier bei Dir gelesen)
    Liebe Grüsse!

  3. Ja, mich hat das Buch beeindruckt und es enthält m.E. noch viel mehr an Bedenkenswertem, als ich in der Rezension unterbringen konnte. Es freut mich, wenn du hier die ein oder andere für dich passende Anregung findest.
    Dir ein angenehmes Wochenende!

  4. Auch ich habe mir das Buch nach deiner Rezension bestellt und bin ganz gespannt! Ich melde mich dann mit einem Feedback, wenn ich es gelesen habe.
    Dir einen schönen Sonntag!

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