Tanizaki Juni’chirō, Tagebuch eines alten Narren

Tanizaki Juni’chirō, Tagebuch eines alten Narren

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Der Klappentext dieses bei Manesse neu aufgelegten Romans, der 1961 erschienen ist, könnte „falsche“ Vorstellungen oder Erwartungen wecken. Dort ist die Rede von einem Alten, der sich „mit sündhaft teuren Geschenken … die libidinösen Gunstbeweise seiner Schwiegertochter“ erkauft. Auch der im Nachwort erwähnte gelbe „Beipackzettel“, der der ersten deutschen Ausgabe beigelegt war, lässt möglicherweise einige Phantasien aufblühen:

„Ich erkläre, dass ich das 18. Lebensjahr vollendet habe und Junichiro Tanizaki, Tagebuch eines alten Narren, ausschließlich für meinen privaten Gebrauch erwerbe. Ich werde das Buch verschlossen aufbewahren und Jugendlichen nicht zugänglich machen. Ich werde das Buch außerdem weder privat noch gewerblich ausleihen. Genaue Anschrift …… Unterschrift …… Datum ….“

Wer einen pornografischen Roman erwartet, der wird bitter enttäuscht werden. Das, was man an erotischen Passagen lesen kann, würde man eher unter „nicht des Lesens wert“ einstufen müssen, würde man diese Erwartungen erfüllt sehen wollen. So sehr hat sich der Umgang mit dem Thema Sexualität, auch Sexualität im Alter, in unserer Gesellschaft seitdem verändert.

Ja, Utsugi Tokusuke ist ein kranker, 77 Jahre alter, wohlhabender Mann – er hat eine eigene Pflegerin – und erkauft sich „sexuelle Gunstbeweise seiner Schwiegertochter Satsuko mit sündhaft teuren Geschenken“, etwa einem Katzenkopfdiamant, sehr zum Entsetzen seiner Frau und seinen Kindern, die gänzlich andere Vorstellungen für die Verwendung des Geldes haben. Doch die Gunstbeweise Satsukos erschöpfen sich in harmlosen Formen des Pettings: etwa dem Anfassen ihrer Füße, dem Küssen ihres Knies, ggf. noch dem Küssen ihres Nackens. Denn zu sexuellen Handlungen ist Tokusuke überhaupt nicht mehr fähig. Die Frage, ob seine Schwiegertochter so weit ginge, stellt sich also gar nicht.

Die akribischen Tagebuchaufzeichnungen Tokusukes – er erwähnt regelmäßig seinen Blutdruck, die eingenommen und verabreichten Medikamente, fertigt detaillierte Beschreibungen seiner Behandlungen an – die er trotz heftiger Schmerzen in den Händen nahezu täglich anfertigt, führen den Leser in die (Gedanken-) Welt eines alten Mannes in Japan, der in seinem Leben alles erreicht hat, um seinen nahen Tod weiß und im Außen keinen Sinn mehr für sein Leben findet.

„Von früh bist spät muss ich gegen die Schmerzen in meiner Hand ankämpfen, selbst Satsukos Anblick kann mich nicht mehr erfreuen, sie behandelt mich als kranken, alten Mann und nimmt mich in keiner Weise ernst. Was für einen Sinn hat ein solches Leben noch? Nur wegen meiner Liebe zu Satsuko möchte ich weiterleben, sonst ist es sinnlos, noch länger auf dieser Erde zu verweilen!“

Und so beginnen die beiden ihr Liebes-Spiel, ein Spiel, in dem mehr Phantasie als tatsächliches Geschehen eine Rolle spielt, das bei dem Alten – zum unwillen seiner Pflegerin und Angehörigen – immer wieder allzu hohen Blutdruck hervorruft.

„Zum Glück war der Blutdruck jetzt normal. … Das ist noch einmal gut gegangen, sagte ich mir insgeheim zufrieden. Gleichzeitig wusste ich aber, dass es mich keinesfalls daran hindern würde, solche Verrücktheiten zu wiederholen.“

Das letzte Vergnügen, das er sich selbst zu machen gedenkt, ist die Anfertigung eines besonderen Grabsteins, das den Fußabdruck seiner Schwiegertochter aufweist:

„‚Mit Hilfe dieses Abdrucks mache ich Buddhafuß-Steine von Sa-chans Füßen. Ich möchte, dass meine Gebeine unter diesem Stein ruhen, wenn ich tot bin. Das ist dann wirklich eine Hinübergeburt ins Paradies!'“

Die Vorbereitungen dieses Grabsteins verleihen ihm Kraft, Zuversicht und eine Zielstrebigkeit, die man ihm sonst aufgrund seiner Gebrechlichkeit nicht mehr zugetraut hätte. Es ist ein sehr leiser, intimer Roman über das Alter mit all seinen Facetten – aus der Perspektive eines japanischen alten wohlhabenden, der Schönheit in all seinen Möglichkeiten zugewandten Mannes.

Tanizaki Jun’ichirō, Tagebuch eines alten Narren, a.d. Jap. übersetzt v. Oscar Benl, mit einem Nachwort v. Eduard Klopfenstein, Manesse Verlag Zürich 2015, 247 S., ISBN 978-3-715-4089-2

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