Anne Enright, Rosaleens Fest

Anne Enright, Rosaleens Fest

Rosaleen, Mutter von Hanna, Dan, Constance und Emmet, ist eine „Frau, die nichts tat und alles erwartete. Jahr für Jahr hatte sie in diesem Haus gesessen und immer alles nur erwartet.“ Das zumindest ist das Urteil von Emmet über seine Mutter.

Für Constance, die älteste Tochter, ist Rosaleen eine „unerträgliche Frau, sie verbrachte ihr ganzes Leben damit, anderen Menschen Dinge abzuverlangen und anderen Menschen die Schuld zu geben, sie lebte in einem Zustand der Hoffnung oder des Bedauerns und wollte sich nicht, konnte sich nicht damit befassen, was vor ihr lag, was immer es war.“

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Der Roman beginnt im ersten Teil „Abschied“ mit dem Leben der vier Kinder Rosaleens, die mehr oder weniger weit weg – in New York, diversen Entwiklungsländern – aber mit möglichst wenig Kontakt und Nähe zur Mutter leben, die sich – gefühlt – ständig in ihr Leben einzumischen versucht. Wie sie das macht, wird nicht so wirklich klar, da der Leser zunächst nur die Perspektive und die Schwierigkeiten der Kinder mitbekommt, mit dem eigenen Leben klar zu kommen. Man fragt sich beim Lesen immer mal wieder, ob es um tatsächliche Einmischungen geht oder ob nicht die Kinder die Wertvorstellungen der Mutter internalisiert und es irgendwie nicht geschafft haben, sich von ihre Mutter zu emanzipieren und das eigenen Leben in die Hand zu nehmen. Das würde für Dan dann auch bedeuten, sich endlich zu seinem Schwulsein und seinem Partner zu bekennen.

In „Heimkehr“, dem zweiten Teil des Romans bewegen sich die Kinder nach „Hause“, da ihre Mutter sie – zu Weihnachten – alle noch einmal in ihr Haus eingeladen hat, das sie zu verkaufen beabsichtigt. Mehr oder weniger widerwillig kommen sie und warten auf das, was passieren wird. Denn: „Sie lebte für … ihre eigenen Unpässlichkeiten, für die Krankheiten anderer Leute. Für den Tumor ihrer Cousine … Für ihren Rücken, ihre Hüfte, ihre Kopfschmerzen und die gelegentlichen Lichtblitze, wenn sie die Augen schloss – Beschwerden, die immer unbestimmter würden, bis sie eines Tages ganz und gar nicht unbestimmt wären. Am Ende wären sie ganz eindeutig.“
Wärme, Nähe Berührungen und warmherzigen Kontakt gibt es in dieser Familie nicht. So ist jeder ist mit seinen eigenen Gedanken, Befürchtungen und Vorurteilen beschäftigt, Constance arbeitet akribisch die – im Roman fast zweiseitige – Einkaufsliste zu Weihnachten ab, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein und weiß doch:

„Man konnte ihrer Mutter keine Freude machen. … Die Welt stand Schlange, um es ihr recht zu machen, und die Welt scheiterte doch jedes Mal.“

Der Leser wird Zuschauer eines lange eingeübten, subtil manipulativen Familienspiels, das sich zu Weihnachten so ähnlich wahrscheinlich in vielen Familien abspielt, wenn erwachsene Personen mit zuweilen schon grauen Haaren sich wieder wie Kinder verhalten, die der (angeblichen) Macht der Mutter nichts entgegenzusetzen haben. Sie alle kennen sich „und kannten einander doch ganz und gar nicht“, weil sie glauben, sich nicht so zeigen und geben zu können, wie sie sind.

Rosas Einsicht am Ende ist nur schwer nachvollziehbar, wenn sie sagt:
„Ich habe den Dingen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. …Ich glaube, das ist das Problem. Ich hätte den Dingen mehr Aufmerksamkeit schenken sollen.“

Ob sie mit „Dingen“ ihre Kinder meint, bleibt offen.

Beim Lesen ist mir nicht wirklich klar geworden, worin genau die manipulative Macht der Mutter liegt, die offensichtlich das Denken und Handeln der Kinder beeinflusst. Genau das ist aber Spiegelbild dieser Familie, in der keiner wirklich mit dem anderen redet, um etwas zu klären, wie ein einem Spiel, dessen Regeln alle befolgen, obschon keiner sie genau benennen und deshalb dann auch nicht ablegen kann und will.

Die Verantwortung allein bei der Mutter zu sehen, ist Ausdruck von Opferdenken, das ihre Kinder immer noch nicht durchbrochen haben. Es ist auch Ausdruck einer Weigerung, für das eigene Leben die Verantwortung zu übernehmen.

Inhaltlich also kein erbaulicher Roman, eher ein schmerzlicher Familienroman, der die Schwierigkeiten und/ oder Unfähigkeit erwachsener Kinder verdeutlicht, sich von der Mutter zu lösen und ein – von ihrem Urteil – unabhängiges, eigenverantwortliches Leben zu führen.

Anne Enright, Rosaleens Fest, a.d. e gl. v. Hans-Christian Oeser, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2015, 379 S., ISBN 978-3-421-04700-7

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