Eliane Reichardt, Hochsensibel

Eliane Reichardt, Hochsensibel

„Man hat nicht HS, sondern man ist es.“

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Reichardt räumt in ihrem interessanten und gut zu lesenden Buch mit vielen, weit verbreiteten Vorurteilen über Hochsensibilität auf. Eine davon ist, dass man sich Hochsensibilität abgewöhnen kann, wie eine lästige Marotte, die einem nur den Alltag, den Umgang mit anderen schwer macht.

Nein, man kann nur lernen, damit zu leben und die eigene Lebensmelodie zu finden, indem man die eigenen „Stärken erkennt und das wirkliche Potential entfaltet.“

Dabei kann das Buch einen nützlichen Beitrag leisten. Insgesamt klar und gut strukturiert bekommt man zunächst durch einen ausführlichen Test in der Einleitung die Möglichkeit zu erkennen, ob man zu der Gruppe der hochsensiblen Menschen (HSM) gehört. Nach einem Überblick über die Forschungsgeschichte zu diesem Thema, wird ausführlich beschrieben, was Hochsensibilität ausmacht und welchen Besonderheiten Hochsensibilität im Laufe der Zeit ausgesetzt war, ist und zukünftig sein wird.

Reichardt geht auch auf die speziellen Ausprägungen hochsensibler Menschen ein. Es gibt die eher introvertierten oder extrovertierten Hochsensiblen und die wenigen, die (extrem) introvertiert und (extrem) extrovertiert sind, die High Sensation Seeker (HSS).

Ihr Leben ist eine ständige Gratwanderung zwischen dem für HSM so typischen Schutz- und Ruhebedürfnis und dem dringenden Bedürfnis, angeregt zu werden oder zu sein. Meistens leben sie ihre Bedürfnisse phasenweise aus…. HSS sind selten! Aber es gibt sie. Und auch sie sind völlig normal. Nur eben anders. Extrem anders. Und immer Höchstleistes. In ihrer aktiven Phase.“

Im zweiten Teil des Buches geht es um die Bewältigung des Alltages. Auch wenn die Autorin explizit darauf hinweist, dass jeder seine eigenen Lösungen suchen und finden muss, so gibt sie doch durch ihre Schilderungen von typischen Alltagssituationen zunächst einmal die Möglichkeit zu begreifen, was Hochsensible etwa beim Einkauf zu bewältigen haben, wenn eine schiere Fülle von Eindrücken auf sie einprasseln. Dann kann man nachvollziehen, dass Einkaufen zu einer extremen Belastung werden kann. Mit welchen Vorteilen sie bei Ärzten zu kämpfen haben, wenn sie in ihrem Körper etwas wahrnehmen, dass gar nicht oder kaum messbar ist, wenn Medikamente bei ihnen nicht wirken, wie sie „normalerweise“ wirken.

Konkrete Tipps gibt sie im Teil „Langfristiger Umgang mit Hochsensibilität“, in dem sie Möglichkeiten aufzeigt, wie man die eigenen Wahrnehmung trainieren, wie man auf die eigenen Gefühle und Grenzen achten und sich abgrenzen kann. Und immer wieder bittet sie darum, die Hochsensibilität als gegeben zu respektieren, zu verstehen und damit leben zu lernen. Und sie macht immer wieder darauf aufmerksam, wie und wo es zu Missverständnissen kommen kann, wenn sogenannte „Normale“ und Hochsensiblen aufeinandertreffen. Sie verstehen sich oftmals nicht, weil sie in anderen Wahrnehmungswelten leben. Das im Umgang mit anderen zu beachten, kann hilfreich sein.

Nützlich sind sicherlich auch die weiterführende Literatur, die (Internet-) Adressen im Anhang und das Register. Das Buch ist empfehlenswert für alle Hochsensiblen, die lernen wollen, sich besser zu verstehen und zu akzeptieren, und für interessierte „Normlos“, die Hochsensible in ihrer Umgebung kennen oder vermuten. Das gegenseitige Verständnis könnte größer und besser werden, nicht unbedingt einfacher.

Eliane Reichardt, Hochsensibel. Wie Sie Ihre Stärken erkennen und Ihr wirkliches Potential entfalten. Mit umfangreichem Selbsttest. Irisiana Verlag, München 2016, 255 S., ISBN 978-3-424-15293-7

3 Gedanken zu „Eliane Reichardt, Hochsensibel

  1. Hochsensibel zu sein stelle ich mir sehr anstrengend vor. Ich kenne da eine Person, der ich von Herzen etwas mehr „Fell“ wünschte…

    Lieben Sonntagsgruss,
    Brigitte

  2. Es ist auf jeden Fall anstrengend, wenn man über seine HS hinweggeht u. nicht lernt, sie als gegeben zu akzeptieren u. danach zu leben. Ob man dadurch ein dickeres Fell bekommt, weiß ich nicht, vielleicht aber größere Gelassenheit u. Selbstakzeptanz.
    Herzliche Grüße

  3. „Mehr Fell“ ist der Anspruch derer, die wollen, dass die/der Hochsensible weniger hochsensibel ist, als sie/er es ist, sprich: sie/er soll weniger sie/er selbst und mehr wie andere [also Unsensible] sein.
    Wer das Buch von Frau Reichhardt gelesen hat, hat wie ich denke verstanden, dass exakt darin, dem nachkommen zu wollen, der Denkfehler liegt. Es geht vielmehr darum zu erkennen, warum und wodurch es GUT ist, hochsensibel zu sein und dass es am Umfeld ist, dem mehr Wertschätzung entgegen zu bringen, denn welche Gesellschaft wünscht sich denn schon weniger feinfühlige Ärzte, Psychotherapeuten, Architekten, Künstler und und und…?

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