André Heller, Das Buch vom Süden

André Heller, Das Buch vom Süden

„Das Buch vom Süden“ ist ein Entwicklungsroman der besonderen Art – inhaltlich und sprachlich.

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Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich in das Buch eingelesen habe, vielleicht waren mir anfangs die Ausführungen und Beobachtungen des jungen Julian Passauers ein wenig zu detailliert, um mich zu faszinieren. Doch dann hat mich sein Werdegang neugierig gemacht: Julian desertiert schon bei der Musterung. Was ein ihm bekannter Graf so kommentiert:
„Schon bei der Musterung, das ist überdurchschnittlich früh.“

Vor allem aber ist es die Art, wie er die Welt sieht, beobachtet, mir ihr und mit sich selbst umgeht. Ein „fleißiger Taugenichts“ will er werden. Dafür ist er bereit, auch einiges zu tun.

„Sein anhaltendes Glück würde wahrscheinlich niemals für lange in Ablenkungen und Zerstreuungen liegen, sondern ausschließlich in der Schärfung seiner Sinne und dem gebündelten Einsatz dieser Schärfe, sich immer und immer wieder den Star des Gleichmuts zu stechen, der blind zu machen droht für die glitzernden Objekte in der Tiefe des Lebensflusses. Man kann sagen, dass sich Julian nun hauptsächlich damit beschäftigte, ganz im Jetzt zu sein.“

Nach der Matura bereist er zunächst die Welt, um anschließend, fasziniert vom Glanz der Pokerkarten, bei Ruhigblütl, einem professionellen Pokerspieler, dessen Handwerk zu lernen und Meister der Pokerspieler zu werden. Das Vermächtnis Ruhigblütls für Julian sind die „drei Säulen des Spiels der Spiele, das auch Leben genannt wird.“

1. Reduzierung des Egos auf die unverzichtbare Mindestmenge
2. Größtmögliche Dankbarkeit
3. Bedingungslose Liebe, weil Liebe nur Liebe ist, wenn sie bedingungslos ist

Später – inzwischen ist er ein „Mensch mit wachem Herzen, zahllosen Büchern, einem Reiseklavier und südlichen Adressen“ – gelangt er dann – auf juristisch nicht ganz einwandfreie Art – an die Villa einer Marchesa mit einem Garten, den er als Paradies, Rückzugsort und als einen weiteren Lehrer ansieht. Die Sehnsucht nach dem „vollkommenen Süden“, die er von seinem Vater geerbt hat, scheint sich hier erfüllen zu können.

Dennoch hat auch er mit der Kluft zwischen seinen mittlerweile erworbenen Kenntnissen und den daraus resultierenden Konsequenzen zu kämpfen, was ihn zeitweilig in melancholische Zustände versetzt.

Manchmal sucht er Zuflucht bei seinen im Garten stehenden Gedankenskulpturen, entstanden aus der Erinnerung an für ihn wichtige Menschen. Doch er hat auch noch lebende menschliche Helfer bei seiner Entwicklung. Es sind vor allem ein kleiner Junge, der seinen Garten besucht, und seine Angestellte Mébrat, eine Äthiopierin, die ihm einmal entgegnet:

„Ihre Nöte sind Luftspiegelungen, und Sie halten sie für Wirklichkeit. Gehen Sie zum vermeintlichen Kern der Not, und Sie werden erfahren, dass dort rein gar nichts ist. Haben Sie bitte den Mut!“

Nicht nur der Garten ist mit allerlei Exoten bevölkert, auch in der Sprache trifft man sie:

Da gibt es „Entlüftungsspaziergänge“, man begegnet „Gedankenherren“,“Greisenkindern“, „Kriegszitterern“ und einem „Sonnenschirmgeschöpf“. Julian betreibt „Schlafarbeit“, besitzt einen „Hausverstand“, entwickelt eine „Fiebersprache“ und hat es mit „Todesmotten“ zu tun.

Ein in jeder Hinsicht ungewöhnlich schillernder Roman. Überaus lesenswert!

André Heller, Das Buch vom Süden, Roman, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016, 335 S., ISBN 987-3-552-05775-3

3 Gedanken zu „André Heller, Das Buch vom Süden

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