Angelika Klüssendorf, Jahre später

Angelika Klüssendorf, Jahre später

Den Roman „April“ von Angelika Klüssendorf kenne ich (noch) nicht, ist aber auch nicht Voraussetzung, um „Jahre später“ zu verstehen, wenngleich Anspielungen an Aprils Kindheit, ihre Eltern gemacht und teilweise als Erklärung für die Gegenwart herangezogen werden.

April lebt in Berlin. Sie ist Schriftstellerin, kann davon aber nicht leben und hat daher diverse Jobs, um sich und ihren Sohn Julius zu ernähren. Sie, die sich ihr Leben lang als Außenseiterin gefühlt hat, lernt Ludwig, einen literarisch ambitionierten Mediziner, bei einer Lesung „Kunst als Medizin“ in einer Galerie auf der Reeperbahn kennen. Sie liest dort eigene Texte. Ludwig spricht sie an und wirbt gleich heftig um sie, die er schon bald „mein Mädchen“ nennt.

„Aus Hamburg ruft er sie stündlich an. … Als er ihr erzählt, dass er nicht mehr schlafen kann, nicht arbeitet, nur liebeskrank auf seinem Bett liege und an sie denke, ist sie geschmeichelt, aber auch erschrocken über sein Tempo. … Ludwigs Werben lässt sie gar nicht zum Luftholen kommen, macht sie übermütig.“ Dennoch fühlt sie „sich mit ihm eingebunden ins Leben wie selten zuvor.“

Die Beziehung zu Ludwig lässt ihre inneren Dämonen, das Gefühl von Heimatlosigkeit teilweise verstummen. Das macht April glücklich – zumindest für kurze Momente. Dennoch scheint es ein trügerisches Glück zu sein, erkennbar auf jeden Fall für den Erzähler dieses Romans, dessen Anmerkungen den aufmerksamen Leser schon zu Beginn skeptisch werden lässt, wenn er liest:

„Wenn sie miteinander schlafen, sieht er ihr in die Augen, als wolle er mit ihr verschmelzen, aber mehr noch, als müsse er sich in dieser Spiegelung vergewissern, dass er überhaupt existiert. Er scheint sich selbst ganz und gar unvertraut. Auch sie ist sich unvertraut. Gibt es die Möglichkeit, dass zwei Unvertraute miteinander vertraut werden?“

Was Ludwig will, ist offensichtlich: Er will ein Kind mit ihr, will sie heiraten und will, dass sie zu ihm nach Hamburg zieht, wo er an seiner Karriere arbeitet.

„Was will April? Ihr Buch ist erschienen, die Kritiken sind gut. Doch sie spürt weder Freude noch Stolz, als wäre sie gar nicht gemeint.“ Sie zieht mit Julius zu Ludwig nach Hamburg. „April ist in einer Nacht-und Nebel-Aktion verschwunden, ist einfach abgehauen, hat das Leben in Berlin wie eine Haut abgestreift und weiß nun nicht wohin mit ihrer Sehnsucht.“

Mit einem Mal ist gefühlt vieles anders und das nicht nur, weil April schwanger ist. Sie entdeckt auch, dass Ludwigs Erzählungen über sein Leben in weiten Teilen seiner Phantasie entsprechen und wenig Realitätsgehalt aufweisen. Hinzu kommt, dass Ludwig kaum Kritik an sich aushalten kann und mit Wutanfällen reagiert, fühlt er sich doch durch die geringste Kritik infrage gestellt. April fühlt sich ungeliebt. Ludwig hat aufgehört, sich um sie zu kümmern. Vielmehr setzt er sich nach seinem langen Arbeitsalltag vor den Computer, schaut Horrorfilme und spielt gewaltträchtige Computerspiele. Um Nähe zu erleben, schaut sie sich zunächst noch mit ihm diese Filme an.

Doch sie kann nicht verhindern, dass sie zunehmend in einem „Friedhofsgefühl“versinkt , „Nachmittage aus Zement“ erlebt und sich häufig müde und „angeekelt vom Ewiggleichen“fühlt. Versucht sie zu schreiben, dann werden ihre Gedanken schwer wie Blei. Zu ihrem Sohn Julius findet sie ebenfalls keinen Zugang. „Wie soll sie ihm Geborgenheit geben, die sie selbst nicht empfindet.“

Statt miteinander vertraut zu werden, leben sie sich immer mehr auseinander. Die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Samuel hat ihre Entfremdung nicht aufhalten können. Beide fühlen sich vom jeweils anderen enttäuscht, unverstanden und ungeliebt. Trennung, Scheidung und kleinlicher Rosenkrieg sind die Folgen.

In unsentimentaler, präziser Sprache wird die Beziehung zwischen Ludwig und April aus Aprils Perspektive in der dritten Person geschildert, mit inneren Monologen, etwa mit ihren Dämonen Rosemarie, Riff Raff und Faye, deren Anwesenheit sie trotz ihrer Tabletten wahrnimmt.

Der Roman ist das Portrait einer verletzten, einsamen Frau, die mit sich und dem Leben, wie es ist, nicht wirklich klar kommt, sich Erlösung durch den geliebten Mann erhofft, aber „vom Regen in die Traufe kommt“.

Nach der Trennung von Ludwig gibt es „Momente, da spürt sie eine Verbindung mit sich und dem Leben“ und sie kann sich vorstellen, auch wieder zu schreiben. Den ersten Satz hat sie schon: „Scheiße fliegt durch die Luft.“

Angelika Klüssendorf, Jahre später, Roman, Kiepenheuer&Witsch, Köln 2018, 157 S., ISBN 978-3-462-04776-9

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