Eric Nil, Abifeier

Eric Nil, Abifeier

Bald ist es an deutschen Schulen wieder so weit: Abiturfeiern stehen vor der Tür, meist sorgfältig vorbereitet, soll es doch etwas ganz Besonderes werden. Auch der Ich-Erzähler dieses Romans meint: „Ich fand es eine schöne Idee, dass die Schüler, die so viele Jahre miteinander verbracht hatten, zum Abschied, bevor sie sich in alle Winde zerstreuten, noch einmal ein Fest feierten und dass sie in diesen Moment der Freude, aber auch des Abschiedsschmerzes und der Bangigkeit vor der Zukunft mit ihren Eltern teilen wollten.“

Die Umsetzung der schönen Idee ist dann allerdings alles andere als schön.

Der Ich-Erzähler ist nämlich von seiner Frau Bea geschieden. Sie lebt mit dem gemeinsamen Sohn Alex, zu dem sein Kontakt nahezu vollständig abgebrochen ist, in der Schweiz. Tochter Nora geht zu ihm nach Hamburg, als absehbar ist, dass sie in der Schweiz ihren Schulabschluss wohl nicht schaffen wird, zieht dann aber noch vor dem Abitur mit einer Freundin in eine WG. Er lebt in einer neuen Beziehung mit Johanna, die mit ihrem Exmann Rolf ebenfalls zwei gemeinsame Kinder hat. Tobias, der Älteste, ist mit Nora in der gleichen Stufe. Sie machen also gemeinsam das Abitur und feiern auf dem gleichen Abiball. Nun geht es um die Tischordnung am Tag der Abifeier.

„Für mich gab es eine natürliche Tischordnung. Johanna, die Kinder und ich waren zwar keine Familie, lebten aber doch in einer familienähnlichen Konstellation. … Ich hielt es deshalb für selbstverständlich, dass wir fünf an diesem für Tobias und Nora so bedeutenden Fest am selben Tisch sitzen würden. Wir waren das, was sich nah dem Zerbrechen zweier Familien zu etwas Neuem zusammengeschlossen hatte.“

Nur, dass er das, was er für sich als „natürlich“ und „selbstverständlich“ hält mit den Beteiligten nicht wirklich kommuniziert, sondern ständig mit den eigenen Spekulationen darüber beschäftigt ist, was wohl Bea, Johnanna, Rolf, Nora, Tobias und Alex denken und fühlen könnten. Er stolpert dann auch permanent über seine eigenen Glaubenssätze, Annahmen, Sorgen, Sehnsüchte und Gedanken, wie es ein könnte, sein müsste etc., statt gründlich den eigenen „Gedankensalat“ zu durchforsten, zu ordnen und dann einen Standpunkt mit den anderen zu entwickeln, aber immer betonend, dass es ein tolles Fest werde, das Fest seiner Tochter, der Kinder.

Das Fest auf sich zukommenzulassen, im Moment sein und sehen, was unter den gegebenen Umständen möglich ist, auf die Idee kommt der Ich-Erzähler nicht. So wird das Fest zu einer stressigen Angelegenheit, die sich scheinbar in äußerlichen Wichtigkeiten erschöpft, wer was anzieht, wie auf die anderen wirkt, zuerst was sagt, wen begrüßt, wie begrüßt. Nora und Tobias geraten da nahezu komplett aus seiner Achtsamkeit.

Wie sehr er sich mit seinen Vorstellungen von Welt, wie Menschen sich verhalten sollten im Weg steht, wird dann im letzten Kapitel mehr als deutlich.

Man kann den Roman als amüsante, witzige, vielleicht auch humorvoll-satirische Darstellung moderner Beziehungskonstellationen lesen. Mich hat er eher traurig werden lassen. Zu sehen, wie die Kinder, die doch auf dieser Abiturfeier im Fokus stehen sollten, mehr und mehr aus den Blicken, der Achtsamkeit der Erwachsenen, nicht nur des Ich-Erzählers – es sind noch genug andere Familien da, denen es ähnlich ergeht – herausfallen, macht mich betroffen.

Es sind die Erwachsenen, die mit sich Schwierigkeiten haben und offensichtlich nicht gelernt haben, diese zu reflektieren und in Gesprächen einen Konsens zu finden, sich dann aber wundern, wie ihre Kinder auf sie reagieren. Insofern ein tiefsinniger Roman und Spiegelbild einer zunehmend vereinsamenden, herzlosen Gesellschaft.

Eric Nils, Abifeier, Roman, Galiani Verlag, Berlin 2018, 160 S., ISBN 978-3-86971-165-2

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