Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore

Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore

Das Cover macht deutlich: Es ist erst der erste Teil des Romans: I Eine Idee erscheint.

Leser, denen – wie mir – dieser Roman gefällt, müssen nun warten, bis im April der 2. Teil erscheint, oder den ersten Teil erst lesen, wenn der zweite bereits da ist, um damit die Wartezeit verkürzen. Doch Vorfreude kann ja auch sinnig sein. Doch das möge jeder für sich entscheiden.

Der Prolog und das erste Kapitel enthalten so viele Hinweise, dass ein Kenner der Romane Murakamis weiß, dass eine Menge Unerwartetes, Unerklärliches auf den Protagonisten – und damit auch auf den Leser – wartet. Dieser Ich-Erzähler steht in der Regel mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen und verfügt offensichtlich über einen klaren und funktionierenden Verstand. Und dennoch gibt es da mehrfache Risse in der Realität:

„Als ich heute nach einem kurzen Mittagsschlaf erwachte, sah ich den Mann „ohne Gesicht“ vor mir. Er saß auf einem Stuhl gegenüber dem Sofa, auf dem ich geschlafen hatte, und blickte mich aus seinen nicht vorhandenen Augen an. …
Ich will, dass du mich porträtierst“, sagte der Mann ohne Gesicht, nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich wach war.“

Mit diesem Prolog beginnt der Roman und noch am Ende weiß der Leser immer noch nicht, was es mit dem Mann ohne Gesicht auf sich hat.

Einblick bekommt man allerdings in das Leben des Porträtmalers, Protagonist des Romans, der sich nach der von der Ehefrau initiierten Trennung in einem einsam gelegenen Haus in den Bergen zurückzieht, das ihm ein befreundeter Maler zur Verfügung stellt. Sein Vater, ein bekannter Maler, kann es nicht mehr bewohnen, da dieser sein Leben allein nicht mehr bewältigen kann.
Davor reiste der Ich-Erzähler monatelang ziellos durch Japan, nur von seinen Ersparnissen lebend. Malen kann und will er nicht mehr, nicht einmal mehr Porträts, durch die er vor der Trennung seinen Unterhalt finanziert hat.

Dann übernimmt er dennoch, allerdings mehr aus Gefälligkeit dem befreundeten Maler gegenüber, zwei Malkurse im Dorf für ambitionierte Laien, lernt dort zwei Frauen kennen, mit denen er eine Affäre beginnt. Sonst lebt er sehr zurückgezogen und unbehelligt in den Bergen. Bis er auf dem Dachboden des Hauses ein verpacktes Bild findet, das er mit hinunternimmt, auspackt und betrachtet. Es hat den Titel „Die Ermordung des Commendatore“, eine Hommage an Morzarts Oper Don Giovanni. Dieses Bild lässt ihn fortan nicht mehr los. Es zieht in in seinen Bann, ohne dass er den Sinn für sich erschließen kann.

Ab da passieren merkwürdige Dinge. Er hört nachts regelmäßig Klingeltöne von weither, stets zu einer bestimmten Uhrzeit mit einer bestimmten zeitlichen Ausdehnung. Da er sicher weiß, nicht zu schlafen, ist er auch sicher, dass die Töne existieren. Will sie aber mit Wataru Menshiki überprüfen, der von ihm für eine nicht genannte, aber offensichtlich enorme Summe porträtiert werden will. Das lehnt der Protagonist mit der Begründung ab, er könne nicht mehr malen, auch nicht mehr porträtieren.
Doch die beiden Männer sind jeweils vom anderen in ihrer Andersartigkeit fasziniert und geben sich nach und nach immer mehr Einblick in ihr Leben. Doch vorher gehen sie dem nächtlichen Bimmeln mit Bagger etc. zu Leibe und entdecken in einem ca. drei Meter tiefen mit schweren Steinen abgedeckten Eisengitter die Glocke mit Glockenstab. Sonst nichts und niemanden.

Für den Maler beginnt gleichzeitig eine neue Phase der (Porträt-) Malerei. Er, der bisher überhaupt keine Probleme gehabt hat, die Charakterzüge eines Menschen festzuhalten und zu malen, kann das Wesentliche von Wataru Menshiki, seinem Nachbar auf dem gegenüberliegenden Berg, scheinbar nicht entdecken. Er kann dem Bild zunächst keine Tiefe geben.

Doch das Bild, das entsteht, fasziniert den Porträtierten derart, das er es nach Fertigstellung sofort mitnehmen will, ohne darauf zu warten, bis es trocken geworden ist. Wataru Menshiki verbindet damit eine Einladung in sein Haus, damit der Maler es in der neuen Umgebung sehen kann. Dieser nimmt die Einladung an, in Begleitung des „Commendatore“, der sich zeitweilig aus dem Bild heraus als für die meisten unsichtbare Idee manifestiert und nur für den Maler sichtbar ist.

Und: Der Maler bekommt einen Anschlussauftrag von Wataru Menshiki. Doch auch den will er zunächst nicht übernehmen, bis er weiß, um wen es sich handelt.

Inzwischen hat er der von seiner Frau eingereichten Scheidung zugestimmt. Doch der Leser weiß bereits seit Beginn des Romans:
„Damals hatten meine Frau und ich uns getrennt, und die Scheidung war offiziell eingereicht, doch danach geschah so vieles, dass wir am Ende beschlossen, unsere Ehe fortzuführen.“

Also wird und muss noch eine Menge im zweiten Band geschehen, bis diese mehrsträngige Handlung zu Ende erzählt ist. Ich jedenfalls freue mich auf die Fortsetzung, da mir die leise, ruhige, unaufgeregte Erzählweise Murakmis, mit den manchmal kaum merklichen gedanklichen Untiefen, sehr zusagt. Es ist Unterhaltung mit psychologischem, surrealem Tiefgang, in der es in gewohnter Weise zu Rissen in der Realität kommt. Vielleicht sind’s einfach Märchen für Erwachsene. Und ich mag Märchen. Immer schon und immer noch.

Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore Band 1, Eine Idee erscheint, Roman, aus d. Jap. v. Ursula Gräfe, Dumont Verlag, Köln 2018, 477 S., ISBN 978-3-8321-9891-6

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