Roland Schulz, So sterben wir

Roland Schulz, So sterben wir

Viele Menschen hegen die „alte Hoffnung; Der Tod? Das war doch immer der Tod der anderen, nie der eigene. Aber wir werden alle sterben.“ Der Tod ist unumstößliche Tatsache im Leben eines jeden von uns, ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht. Dass wir sterben, daran können wir nichts ändern, wohl aber, wie wir leben wollen mit dieser Tatsache.

Die Debatte im Deutschen Bundestag über die gesetzliche Regelung von Sterbehilfe im Jahr 2014 war für den Journalisten Roland Schulz Anlass, über das Thema „Tod und Sterben“ zu recherchieren. Er begann in der Bibliothek München, in der Fakultät für Medizin, und stellte erstaunt fest, dass er im Lehrbuch der Palliativmedizin, einen 1400 Seiten umfassenden Band, nur 9 Seiten über den unmittelbaren Sterbeprozess fand:

„Zwei Stockwerke Wissen. Neun Seiten Sterben.
Das war der Augenblick, in dem die Arbeit an diesem Buch begann. Jetzt wollte ich es wissen. Wenn ein Mensch stirbt – was passiert dann da genau? Wann beginnt es eigentlich, das Sterben? Wie verläuft er, der Weg in den Tod? Und was geschieht danach? Also habe ich mich auf die Suche nach dem Sterben und, in der Folge, nach dem Tod gemacht.“

Er befragt Ärzte, Palliativmediziner, Krankenpfleger, Hospizmitarbeiter, Beerdigungsunternehmer etc., spricht bei Behörden vor, um zu erfahren, was nach dem Tod eines Menschen noch alles passiert, gesetzlich vorgeschrieben ist, bis jemand auch amtlich als tot gilt. Dabei bemerkt er, wie ihn die Begegnungen mit den Menschen, mit Sterbenden berühren und dass gleichzeitig „eine Art gnadenloser Reflex“ einsetzt, sich von diesen Erfahrungen zu distanzieren:

„Diese Schicksale handelten ja von jemand anderem, Sterben ging ja gar nicht um mich! Es war, als ob sich durch die Auseinandersetzung mit dem Sterben anderer eine Mauer zwischen mir und der Tatsache aufbaute, dass Sterben selbstverständlich auch mich betrifft, dass es das einzige an meiner Zukunft ist, von dem ich vollkommen sicher sein kann, dass es eintreten wird.“

Um dem Leser diese Distanzierungsmöglichkeit zu verwehren, erfindet er „einen archetypischen Sterbenden, der möglichst viele Aspekte des Sterbens in sich vereint – die Kunstfigur eines ‚Otto Normalsterbenden‘.“ Den es natürlich so nicht gibt und spricht den Leser durchgängig direkt an:

„TAGE VOR DEINEM TOD, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen seiner Finger zu pumpen. Wird anderswo gebraucht.“

In drei Kapiteln „Sterben“, „Tod“ und „Trauer“ beschreibt er ausführlich, was im Körper passiert, wenn der Mensch zu sterben beginnt, setzt sich mit den verschiedenen psychologischen, physiologischen Aspekten auseinander und ermöglicht dem Leser, seinen eigenen möglichen Sterbeprozess gedanklich vorwegzunehmen – soweit dies überhaupt möglich ist. Denn Schulz macht dennoch immer weider deutlich, dass es das typische Sterben nicht gibt. Die Wirkung ist dennoch enorm anders als in den Büchern, die ich bisher über dieses Thema gelesen habe: Man wird unweigerlich in den Prozess einbezogen, entwickelt Gefühle, Betroffenheit, aus der man sich nicht so einfach entziehen kann.

Ab und an habe ich mich gefragt, will ich das jetzt alles so genau wissen? Gleichzeitig ist es aber erstaunlich, so konzentriert an einem Ort lesen zu können, was nach dem Tod passiert, welchen Weg der Leichnam geht, welche Behörden, Institutionen sich mit den Leichen beschäftigen, welche Maschinerien, zum Teil im wahrsten Sinne des Wortes, in Bewegung gesetzt werden. Und erstaunt feststellen zu müssen, wie wenig Konkretes man weiß.

In einem längeren Nachwort beschreibt der Autor seine Beweggründe, Erfahrungen im Zusammenhand mit der Entstehung dieses Buches und ermöglicht jedem, der will, mit einer vierseitigen Literaturliste eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema.

Es ist ein Buch, durch das man sich, wie der Untertitel „Unser Ende und was wir darüber wissen sollten“ bereits deutlich macht, sich über das eigene Ende informieren und sich vielleicht mit eigenen Vorstellungen und Wünschen auseinandersetzen und schriftlich festhalten kann. Leichte Lektüre ist es auf keinen Fall – vielleicht aber eine notwendige.

Roland Schulz, So sterben wir. Unser Ende und was wir darüber wissen sollten. Piper Verlag, 2. Aufl. München 2018, 239 S., ISBN 978-3-492-05568-0

4 Gedanken zu „Roland Schulz, So sterben wir

  1. Oh, das ist harte Lesekost. Noch weiss ich nicht, ob ich mir die zumuten möchte.
    Manchmal scheint mir Unwissenheit auch ein gewisser Schutz zu sein.
    Dennoch lieben Dank für die Besprechung.
    Und schönen Gruss,
    Brigitte

  2. Ja, es ist harte Lesekost und ich kann verstehen, dass Nicht-Wissen auch Schutz sein kann ;)Es ist für mich das bisher Ungewöhnlichste, was ich zu diesem Thema gelesen habe.
    Lebendige Morgengrüße!

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