Helena von Zweigbergk

Helena von Zweigbergk

„Sicherlich will man all das Unnötige wegwerfen, was man anhäuft – aber das ist etwas anderes, als alles zu verlieren. Nie im Leben hätte ich mir diese hilflose Verlassenheit ausmalen können, die in der Abwesenheit dessen lauert, was man sich im Laufe des Lebens aufgebaut hat. „

Agneta, 65, und Xavier, 79 Jahre alt, stehen – im wahrsten und im übertragenen Sinne – vor den Trümmern ihres gemeinsamen Lebens, als Agneta bei der Vorbereitung auf ein Essen mit Freunden versehentlich das Haus in Brand steckt. Sie hat die angebratenen Hasen, die Xavier geschossen hat, unbeobachtet auf dem Herd stehen lassen, um auf der Außentreppe ihres Hauses bei einer Zigarette ihren Tagträumen nachzuhängen, die einem zehn Jahre jüngeren Kollege gelten, während Xavier den Enkel ins Bett bringt.

Das Haus ist nicht mehr zu retten. Das zu akzeptieren, fällt Agneta unglaublich schwer. Sie meint doch zudem – gefangen in ihrer Schuld und ihren Schuldgefühlen – sie müsse, das, was war, wieder herstellen. Doch was genau ist das?

Die Kinder sind bereits aus dem Haus, der Mann inzwischen pensioniert und sie wird ebenfalls nicht mehr lange arbeiten müssen. Zudem bemerkt sie im Verhalten Xaviers Veränderungen, die sie sich nicht erklären kann, für sie aber Anlass sind, sich den schlimmsten Phantasien hinzugeben, dass Xavier sie verlassen könnte. Eine uralte Angst, die aber ständig in ihrem Verhalten ihrem Mann gegenüber wirkmächtig gewesen ist und sie Dinge hat tun und aushalten lassen, die ihr nicht wirklich gemäß waren.

Ein Ausflug mit den beiden eigenen Kindern, den Zwillingen Astrid und Hanna, und Maria, der Tochter Xaviers aus seiner ersten Ehe, wird unangenehm für sie, haben die Kinder doch nun den Mut, ihr Verhalten anzusprechen und sie mit Fragen in die Bredouille zu bringen. Sie selbst müssen ihr Verhältnis zur Stiefschwester neu einordnen. Endlich ist Raum und Zeit zu reden, Vergangenes zu reflektieren und Perspektiven jenseits dessen, was war, zu entwickeln.

„Man hat Selbstbilder, die man tief in seinem Innern bewahrt. Ähnlich einer gerahmten Fotografie nimmt man sie hin und wieder zur Hand, putzt den Rahmen und lächelt zufrieden. Nichts, woran man oft denken würde. Das Bild sitzt ganz tief im Innern. Und auf das Bild von mir als Mutter bin ich ganz besonders stolz. Die mit dem Heim, mit der Sanftmut, der Toleranz, mit den Sympathien. Das war meine sichere Rolle. Um die Rolle als Ehefrau musste ich kämpfen, doch wenn alles ins Wanken geriet, stürzte ich mich darauf, dass ich in unserem Familienzusammenhang eben die Mutter war. Diejenige, die immer da war. Die ich für unantastbar hielt. Bis meine Töchter nun den großen Vorschlaghammer hervorgeholt und drauflosgedroschen haben.
Was ist von all dem noch übrig?“

Xavier und Agneta gehen auf sehr konventionelle, oft unreflektierte, unerwachsene Art miteinander um. Ständig macht irgendwer den anderen für sein Unwohlsein verantwortlich. Die Lösung soll bei der Veränderung des anderen liegen, statt zu schauen, wo man selbst an sich, an den eigenen Bildern, Erwartungen arbeiten könnte. Selbstmitleid, Aggressionen, Unterstellungen, Vorwürfe, reden in „Man“, „Wir“ Sätzen, ohne zu überprüfen, ob der andere in sich in diesem „Wir“ eingeschlossen und mitgemeint fühlt.

Der Roman schildert „Szenen einer Ehe“, die die Katastrophe des Hausbrandes auch auf der Beziehungsebene verdeutlichen – mit offenem Ende. Und ja, manchmal wird’s plattitüdenhaft, vorhersehbar, wenn man die Charaktere der beiden Protagonisten erkannt hat, aber genauso ist das Leben meist.

“ ‚Ja. Aber jetzt beginnt etwas andere, das wissen wir.‘
‚Etwas ganz anderes beginnt jetzt.‘ „

Der Roman wirkt nachhaltig, auch angesichts der aktuellen Katastrophenbilder in den Medien. Wie schlimm muss es denjenigen gehen, die über ihr Hab und Gut hinaus auch die Menschen ihrer Umgebung verloren haben, bei denen sie zumindest ein wenig Mitgefühl in ihrer Situation erfahren könnten? Stattdessen sehen sie sich Menschen gegenübersehen, die zusätzlich noch ihr Leben bedrohen?

Helena von Zweigbergk, Roman a.d. Schwedischen v. Hedwig M. Binder, Nagel & Kimche Verlag, München 2020, 351 S., ISBN 978-3-312-01163-6

2 Gedanken zu „Helena von Zweigbergk

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