Helene Bockhorst, Die beste Depression der Welt

Helene Bockhorst, Die beste Depression der Welt

Vera, die Ich-Erzählerin dieses Romans über Depressionen, leidet selbst unter Depressionen. Ein Verlag ist auf Vera aufmerksam geworden, weil sie mit ihrem Blog, auf dem sie ihren versuchten Selbstmord bekannt gemacht hatte, soviel Aufmerksamkeit erregt hat. Sie soll nun – quasi als „Fachfrau“ – einen Ratgeber gegen Depressionen schreiben. Einen Vorschuss hat sie bereits bekommen, zum Teil auch schon ausgegeben und die Deadline, der Terminabgabe eines Manuskriptes für ihr Buch rückt bedrohlich näher. Bedrohlich, weil Vera aufgrund ihrer Depressionen mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat und kaum einen Anfang für ihren Entwurf finden kann.

“ ‚Ich muss ein Buch schreiben‘, sage ich. ‚also, ich will ein Buch schreiben. Über Depressionen. Und ich krieg das nicht hin. Weil ich Depressionen habe. Ironischerweise.‘ „

Indem sie schreibt, wie es ihr geht, wie sie versucht, sich zum Schreiben zu bewegen, darüber zu reden, was ihr tatsächlich oder vermeintlich im Wege steht – sie kämpft mit ihrer Antriebslosigkeit, ihren Selbstzweifeln, ihrem inneren Kritiker, der pausenlos auf sie eindrischt – beschreibt sie dann doch auf unnachahmliche humorvolle, ironische, verzweifelte Art, was eigentlich eine Depression ausmacht und wie sie sich in ihrem Alltag bemerkbar und breit macht, entgegen aller eigener Vernunftgründe und Ratschläge anderer, sich doch einfach hinzusetzen und zu schreiben, sich zusammenzureißen … .

Ihr Vergleich mit Kafka ist dann ebensowenig hilfreich:
„Ich wäre so gern wie Kafka. Eigentlich bin ich Kafka! Der einzige Unterschied ist, dass ich nicht jeden Morgen um fünf Uhr aufstehe, um mein Buch zu schreiben. Und dass ich nicht bei einer Versicherung arbeite, kein Mann bin und mein Hauptproblem nicht mein Vater ist. Aber ansonsten sind wir uns ähnlich.“
wie die Vorstellung ihrer zukünftigen Rezensenten des Buches, das ja noch nicht einmal geschrieben ist:
„mit ihren Textmarkern und Lesebrillen und Post-its, wie sei mein Buch neben Kaffeetassen und Duftkerzen und Schüsseln mit Haferschleim fotografieren und mit irgendwelchen Hashtags versehen, und wenn ich daran denke, habe ich gar keine Lust, überhaupt etwas fertig zu machen. Ich hab ja kein Problem mit Kritik, aber sie sollte von den richtigen Leuten kommen und positiv sein.“

Sie macht eine Reise nach Japan. Auch dort wird sie sich selbst, ihre Depression und Schreibblockaden nicht los. Doch ganz allmählich wird ihr und damit auch den LeserInnen deutlich, wo ihre Depression herkommen können. Und nach und nach, quasi bruchstückhaft erinnert sie sich an ihre Ursprungsfamilie, an die permanenten Abwertungen ihrer Mutter, die sich mehr um das, was die Leute denken und sagen könnten, kümmerte als um die Bedürfnisse ihrer beiden Mädchen, an den Vater, von dem sie sich nicht gesehen und verstanden gefühlt hat.

„Dass er mich nie richtig als Menschen gesehen hat. Entweder war ich jemand, der Probleme machte, die man gerade nicht gebrauchen konnte und den es deswegen ruhig zu stellen galt. Oder wenn ich gerade gut funktionierte, war ich jemand, dem man die ein oder andere Verpflichtung aufdrücken konnte. Dazwischen gab es nichts.“

In ihrem Kopf spulen sich immer noch und immer wieder die alten „Filme“ ihrer Verletzungen durch die Eltern ab, die sie nur schwer ignorieren kann. Und ganz allmählich macht sich in ihr die Erkenntnis breit, dass „eine Depression dann entsteht, wenn etwas sich nicht anders ausdrücken kann, und dass es gut wäre, der Depression und dem was sie verursacht, einen Ausdruck zu geben.“ Und sie beginnt, sich mit dem Gedanken anzufreunden, ihrer Depression und dem, was sie zum Ausdruck bringen will, zuzuhören, sie zu beachten, was ja gleichbedeutend damit wäre, sich selbst endlich mal zu be-achten.

Der Roman zieht sich zu beginn ziemlich in die Länge, es passiert wenig – wie soll es auch – und man ertappt sich bei dem Wunsch, Vera möge doch nun endlich mal in die Puschen kommen. Und genau das ist ja eine der Reaktionen, mit denen sie ständig konfrontiert ist. Da, wo Vera allerdings bereit ist, bei sich zu bleiben und in ihre Un-Tiefen zu schauen, da genau beginnt der Roman interessant zu werden.

Ich mag überwiegend den (selbst-) ironischen Schreibstil und denke, dass es ein authentischer Roman über Depressionen und den Umgang mit dieser Krankheit ist, die vielfach noch immer nicht als solche anerkannt ist.

Helene Bockhorst, Die beste Depression der Welt. Heutzutage genügt es nicht mehr irgendeine Depression zu haben …, Ullstein Verlag, Berlin 2020, 318 S., ISBN 978-3-550-20076-2

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