Diane Broeckhoven, Ein Tag mit Herrn Jules

Diane Broeckhoven, Ein Tag mit Herrn Jules

Diese kurze, anrührende Geschichte von Alice und ihrem Mann Jules fängt an wie viele andere auch: mit dem Ritual der beiden, den Tag zu beginnen. Doch die morgendliche Stille ist trotz des Kaffeeduftes eine andere, stiller eben. Jules „war gestorben. Doch vorher hatte er noch seine Pflicht getan. Er hatte den Tisch gedeckt und Kaffee aufgesetzt.“

Alice lässt sich einen Tag lang Zeit, Abschied von ihrem Mann zu nehmen.“Wie Nieselregen sickerte die Wahrheit durch ihre Poren in sie hinein.“

David, der autistische Nachbarjunge, kommt wie jeden Tag, um mit Herrn Jules um 10 Uhr Schach zu spielen. Alices versucht vergeblich, seinen Besuch zu verhindern, bietet dann aber an, mit dem Jungen Dame zu spielen:“Herr Jules ist ein bißchen krank.“ Doch David findet sehr schnell heraus, was wirklich los ist:“Herr Jules ist nicht krank. Herr Jules ist tot.“, und übernimmt einfach selbst dessen Part im Schachspiel.

So kann Alice ihren Gedanken nachhängen, die sich einstellen, als sie den Brief an Jules Geliebte Olga findet, den sie vor dreißig Jahren an diese geschrieben, aber nie abgeschickt hat. Worte, die sie damals für sich behalten hat,finden jetzt ihren Weg:“Manche ihrer Worte durchbrachen die Stille. Andere bildeten sich im Mund und blieben unausgesprochen. Es war sowieso egal. Sie wußte, daß Jules sie schon verstand.“Sie erinnert sich daran, wie geschickt sie für das Ende dieses Verhältnisses gesorgt hat, wohl wissend, welches Risiko sie damit eingegangen ist.

Immer wieder wird sie durch David, der unvermutet dann auch noch die Nacht bei ihr verbringen muss, in die Gegenwart zurückgeholt.

Am Ende dieses Tages ist alles gesagt, sie weiß, was sie zu tun hat. Erst jetzt ist er wirklich tot für sie.

Der Leser erfährt auf unspektakuläre Weise von Verrat in der Liebe, aber auch von der der Liebe eigenen Macht, Verluste hinzunehmen, um Neues möglich zu machen.
Leise, nachdenklich, sinnlich, ergreifend. Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche, die den Tod aus ihrem Leben nicht ausklammern, für die Tod Teil des Lebens ist.

Diane Broeckhoven, Ein Tag mit Herrn Jules, C.H.Beck Verlag München 2005, 92 S. ISBN 3 406 52975 5

9 Gedanken zu „Diane Broeckhoven, Ein Tag mit Herrn Jules

  1. Das Buch hast du mir ja auch empfolen, aber bis auf ein, ja war eine schöne Geschichte, gut geschrieben ist mir nichts weiter hängen geblieben. Natürlich stecken all diese von dir genannten aspekte darin, aber mich haben sie eben nicht so zum denken/fühlen angeregt, wie ich es von einem richtig guten Buch sagen würde.

  2. Du hast eine wunderschöne Art, Bücher zu beschreiben. (ich hasse das Wort rezensieren, sorry). Ich werde es sicher bald mal lesen. Ein ähnlich gutes Buch zum Thema, wenn auch sicher etwas eingängiger, ist "p.s: ich liebe Dich". Leider weiß ich grade die autorin nicht, weil eine Freundin mir das Buch als Hörbuch aufgelesen und sie nicht angegeben hat. Darin hinterläßt ein junger Mann, der viel zu jung gestorben ist und seine Frau allein läßt, einen Stapel Briefe mit "Anweisungen" für sie, was sie jeden Tag tun soll, und begleitet sie so durch ihr erstes Trauerjahr. Vielleicht finde ich die Schreiberin noch raus. Schön, daß ich mal jemanden gefunden habe, der sich in einer solchen Art und Weise über Bücher austauscht wie Du. Liebe Grüße vom Nest

  3. Danke, es freut mich, dass dir die Besprechung und das Buch gefallen hat. Bisher habe ich fast immer nur für mich gelesen, wollte ein privates Lesetagebuch führen, weil ich einfach auch einmal nachhalten wollte, wieviele und welche Bücher ich lese. Aber vielleicht kann ich auf diese Art und Weise auch andere daran partizipiern lassen, den ein oder anderen dazu animieren, sie zu lesen und sich ggf. sogar darüber auszutauschen.

    Mal sehen. Jedenfalls danke!

  4. Da werd ich ja langsam neidisch! Mensch, ich brauch doch echt auch ein Blog. Aber ich bin so viel unterwegs und brauche immer so lange fürs Durchgucken. Ich glaub, das wäre nichts für mich. Aber auch i ich hab immer schon eine Möglichkeit gesucht, mich mit jemandem auszutauschen über die Bücher, die ich lese.

  5. Die Metier ist auch für mich noch ziemlich neu. Vielleicht kannst du ja Bücher auf meiner Seite besprechen, sozusagen als Gastkommentator/in. Ob es und wie es geht, muss ich dann noch klären.
    Ich will mir jetzt auch keinen Stress mit Besprechungen machen, denn ich will nicht beim Lesen schon immer daran denken, was ich schreiben will.

  6. Hey, das ist ja knuffig, daß ihr Euch jetzt schon Gedanken macht, wie das klappen könnte. Es wäre schon schön, weil Du solch eine Rubrik schon hast. Ich schreibe ja, wie Du, MOnalisa, weißt, auch als Gast im Blog von Jens Bertrams, im "Wa(r)renhaus" mit, aber der hat keinen Raum für solche Themen. Außerdem ist was, was 2 gleichgesinnte zusammen machen, gleich doppelt so klasse.

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