Ein Kramlädchen, ein Stuhl und ihre Besitzerin – ein Rückblick

Ein Kramlädchen, ein Stuhl und ihre Besitzerin – ein Rückblick

Das Kramlädchen am Beginn des unteren Steinwegs in Marburg ist mir noch gut in Erinnerung. Es war ein auf den ersten Blick chaotisch anmutender unübersichtlich wirkender Laden, in dem es nahezu alles gab, was man im oder für den Haushalt brauchte, einsortiert in den hohen Regalen an den Wänden, aber auch unter der Decke hängend, auf dem Boden gestapelt. Hinter der hohen, breiten Holztheke stand – immer freundlich – die Besitzerin, eine kleine Frau, die mit den Jahren immer kleiner wurde – ich habe sie nie unfreundlich erlebt, immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht, auch dann noch, als es ihr sichtlich schwerfiel, den Laden zu betreiben.
Sie wusste Bescheid, alles fand sie auf Anhieb. Wenn sie irgendetwas aufgrund ihrer Körpergröße nicht erreichen konnte, forderte sie einen auf, sich die gewünschten Dinge selbst zu holen. Sie gab Rat, machte Vorschläge, aber nie besserwisserisch, hatte ein Herz für alle, die ihr freundlich entgegenkamen.
Vor ihrer Theke stand ein Stuhl, ein ganz einfacher, wie wir ihn früher in der Küche hatten. Dieser Stuhl diente (alten) Leuten dazu sich auszuruhen, als Ablage für schwere Taschen, für die Kinder war es eine Art Leiter, mit deren Hilfe sie über die Theke gucken konnten, ein Stuhl, der trotz seiner Einfachheit anheimelnd wirkte, der einfach da war, den man benutzen konnte, wann und wofür man wollte – doch ohne die freundlichen, manchmal aufmunternden Worte, das Lächeln der Besitzerin wäre es nur einfach ein einfacher Stuhl gewesen, so aber …
Ich vermisse den Stuhl, die Wärme dieser Frau, die einfach gut tat, weil sie da war, zuhören konnte, das Herz auf dem rechten Fleck hatte.
„Hatte“, den Laden gibt es nicht mehr, was aus der Besitzerin geworden ist, weiß ich nicht, ich bin dann irgendwann aus Marburg weggezogen, habe sie noch oft besucht, doch dann gab es auf einmal den Laden nicht mehr.

Und der Stuhl? Ob sie ihn mitgenommen hat?

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