Spiegel

Spiegel

Sich im Spiegel sehen, was heißt das?
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Wer kennt diese Frage der bösen Stiefmutter aus „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ nicht? Es ist nicht einfach die Frage nach Schönheit, sondern auch der nach Anspruch auf Macht und Vorherrschaft, die auch vor Mord nicht Halt macht.
Es könnte aber auch die Frage einer jeden Pubertierenden sein, die ihre Stellung im Freundeskreis auslotet, die eines jeden Models, das sich um den Titel „Miss“ xyz bewirbt.
Sich im Spiegel sehen, ist aber auch die Frage danach, wie, auf welche Weise wir uns (wirklich) wahrnehmen.
Silvia Bovenschen macht in „Älter werden“ dazu einige interessante Anmerkungen:

„Spiegelblind
Eine Technik, die ich erst älter geworden beherrschte: in den Spiegel zu schauen (es funktioniert nur bei bestimmten Verrichtungen, wie zum Beispiel beim Kämmen oder Zähneputzen), ohne mich darin wirklich zu sehen. Der Spiegel zeigt ein altersloses Bild – zwar nicht beschönigt, aber auch ohne Grausamkeiten. Irgendwie neutral. Als wäre es nicht das eigene. Ein technisches Sehen. … Das erklärt den Schrecken, wenn ich mich überraschend und unvorbereitet im Spiegel sehen muß: …O Gott, die alte Frau bin ja ich!“ (a.a.O. s. 89)
Was ist das Gegenteil von technisch neutralem Sehen? Wirkliches Sehen? Sehen, wie man wirklich ist? Aber wie ist man wirklich? Oder spiegelt der Spiegel eigentlich auch nur die momentane seelische Verfassung wider, die heute so und morgen so sein kann? Fragen, denen Künstler in diversen Bildern und Gedichten nachgegangen sind.

Selbstbildnis im Supermarkt (1968)

In einer
großen
Fensterscheibe des Super-

markts komme ich mir selbst
entgegen, wie ich bin.

Der Schlag, der trifft, ist
nicht der erwartete Schlag
aber der Schlag trifft mich

trotzdem. Und ich geh weiter

bis ich vor einer kahlen
Wand steh und nicht mehr weiter
weiß.

Dort holt mich später dann
sicher jemand

ab.                                                                         (Rolf Dieter Brinkmann, 1968)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert