Joyce Carol Oates, Mit offenen Augen

Joyce Carol Oates, Mit offenen Augen

„Mit offenen Augen“ ist die Geschichte von Francesca Pierson, die aber lieber Franky genannt werden möchte. Franky ist ein vierzehnjähriges Mädchen, die lange Zeit verdrängt, dass ihre Eltern sich nicht mehr verstehen, dass ihr Vater, Reid Pierson, ein bekannter und beliebter Sportreporter, ihre Mutter ständig – auch vor den Kindern – herabsetzt: „.. du gehst mit Riesenschritten auf die vierzig zu. Du solltest dankbar sein, dass du einen Mann hast, der sich noch gern in der Öffentlichkeit mir dir zeigt.“ Es ist eine Ehe, in der der Ehemann die Erlaubnis gibt, dass seine Frau einen Raum in dem riesigen Haus als Atelier einrichten kann, und anschließend vor den Kindern die Arbeiten ironisch kommentiert: „Also damit hast du deine Zeit verbracht, Krista. Sehr nett. Großartig.“ Er ist gewalttätig. Seine Frau versucht ihre Blutergüsse mit Schals und längärmeligen Blusen oder Kleidern vor den Kindern zu verbergen. Er scheut sich nicht, seine beiden Töchter zu instrumentalisieren und gegen die Mutterer auf seine Seite zu ziehen. Der Sohn aus erster Ehe ist bereits lange gegen seine Stiefmutter.
Als Frankys Mutter unter mysteriösen Umständen verschwunden ist, müssen die Kinder mit ihm und seinem Anwalt vorher abgesprochene Formulierungen von sich geben. Franky tut, was von ihr erwartet wird, wider besseres Wissen, denn etwas in ihr beobachtet, registriert, nennt „die Dinge beim Namen“, kennt die Wahrheit und lässt Franky schließlich den Mut aufbringen, doch gegen ihren Vater auszusagen. In ihrer Vernehmung in Abwesenheit ihres Vaters sagt Franky: “ Ja, ich habe ihm geglaubt. Ich habe ihm immer geglaubt. Sogar dann, wenn ich es besser wusste…“
Sie spricht damit ein Problem von Kindern aus, die manchamal ihre eigenen Wahrnehmungen nicht (mehr) trauen, um sie in Einklang mit dem zu bringen, was ihre Eltern ihnen vormachen. Ein schrecklicher, verwirrender, verweifelter Zustand, in den Kinder geraten können, besonders, wenn die geliebten Eltern sie von ihrer Umwelt isolieren, sie also keine Verbündete haben, die sie unterstützen.
Es ist ein Mut machendes Buch, das auffordert, den eigenen Erfahrungen zu vertrauen, die Wahrheit auszusprechen und Gewalttätigkeiten als solche zu benennen. Und dennoch – ein Buch mit unnötigen Längen, mit Handlungen, die eher ein eigenes Thema wert wären. So leuchtet es nicht ein, dass Franky zu Beginn des Romans auf einer Party beinahe vergewaltigt wird, sich aber aus eigener Kraft losreißen kann, nachdem ihr der Angreifer zugerufen hat:“Du F-Freak! Du solltest deine Augen sehen! Echt freaky – freaky green eyes! Du bist doch gestört!“. Nein, das ist sie nun gerade nicht, wohl aber einige Männer, mit denen sie es zu tun hat.

Joyce Carol Oates, Mit offenen Augen, Die Geschichte von Freaky Green Eyes, München 2007, 265 S. ISBN 3-423-62297-0

Ein Gedanke zu „Joyce Carol Oates, Mit offenen Augen

  1. Ich fand "Unter Verdacht" von ihr ganz, ganz toll… Ich habe es hier und würde es dir ggf schicken, wenn du es lesen willst. Schick mir einfach ne Mail.

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