Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!

Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!

Der Untertitel macht klar, um was es geht: Tagebuch einer Krebserkrankung. Christoph Schlingensief bezeichnet es als „Dokument einer Erkrankung“. Unmittelbar nach der Krebsdiagnose hat er begonnen, seine Gedanken, Gefühle, inneren Monologe mit seinem verstorbenen Vater, himmlischen Wesen, und Gespräche mit Freunden und seiner Freundin Aino, aufzuzeichnen.
Herausgekommen ist ein spannendes Portrait Schlingensiefs, den man mit seinen (Sinn-)Fragen erleben kann, die ihm die Krankheit aufzwingt: Wird es weitergehen und wenn ja wie? Was habe ich bisher geleistet? Der seine Wut, seine Verzweiflung, seine Hoffnungen, Momente der Achtsamkeit und Liebe für sein Leben, für das Leben überhaupt erkennbar macht, der die „Umbaumaßnahmen“ seines Körpers plastisch darstellt und die Hoffnungen, aber auch die Angst, vor allem die Angst spürbar werden lässt, der er ausgesetzt ist, aus der er oft keine Fluchtmöglichkeiten mehr sieht. Er ist immer wieder völlig auf sich zurückgeworfen und trotz liebe-voller Begleitung durch seine Freundin, der er auch das Buch gewidmet hat, spürt er die mensch-liche Einsamkeit dieser Situation, die niemand ihm abnehmen kann. Und immer wieder denkt er über seine Arbeit nach, schmiedet berufliche und private Pläne und hofft, sie umsetzen zu können.
Seine persönliche Situation ist für ihn auch Anlass, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen: Welche Antworten hat die Kirche mit ihren himmlischen Mächten und „Schwarzmalern“ für Menschen, die ihren eigenen Weltuntergang erleben? „Angeblich feiert man das Leben, die Schöpfung, aber ununterbrochen wird mit dem Sensenmann gedroht.“ Wie geht Gesellschaft mit Kranken, vor allem mit Sterbenden um, die sich „nicht ins stille Kämmerlein zurückziehen“, sondern wie Schlingensief in die Öffentlichkeit gehen? Den Vorwürfen, denen er ausgesetzt ist, begegnet er auf seine sehr spezielle Art: „Da kann einen ja nur trösten, dass der letzte Papst wohl auch einen gravierenden Fehler gemacht  hat, als er da bis zuletzt immer wieder ans Fensterchen gefahren kam, um sich den Leuten zu zeigen und seinen Segen ins Mikrofon zu flüstern.“ Wie kann eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen den Umgang mit Kranken verändern? Gehören Medizin und Kunst dann nicht auch zusammen? “ Bis jetzt ist die Kunst an der Wand, und die Medizin im Schrank. Aber vielleicht kann man das ja auch anders sehen, wenn sowohl die Kunst als auch die Medizin den Menschen als Ganzes begreift.“
Das Buch ist ein ergreifender, aber nie sentimenta-ler Aufruf Schlingensiefs gegen die „Ächtungskultur an(zu)sprechen, die den Kranken Redeverbot erteilt.“ Und den formuliert er in seiner, ihm eigenen Sprache, die seine Herkunft aus dem Ruhrgebiet nicht leugnet. Es ist eine Aufforderung, mit dem Leiden in die Öffentlichkeit zu gehen, nicht um „den Leidensbeauftragten zu geben“, sondern um eine humanere Kultur im Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod in unserer Gesellschaft zu erreichen.
Es ist ein bewegendes, aufrüttelndes Buch, dessen Lektüre ich all denen nahelege, die entweder selbst von Krankheiten betroffen sind, mit Kranken, Sterbenden und ihren Angehörigen zu tun haben oder sich diesen existenziellen Fragen stellen und nach eigenen Antworten suchen.

Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung, München 2010, 255 S., ISBN 978-3-442-74070-3

2 Gedanken zu „Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!

  1. Wie aufmerksam du das gelesen und beschrieben hast, Mona Lisa. Mein Interesse ist jedenfalls geweckt: Deinen Tipp werde ich beherzigen und mir das Buch kaufen. Auch wenn es sicher nicht einfach ist, sich darauf einzulassen…

    Mit liebem Gruss, Brigitte

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