Lorian Hemingway, Die Stimme des Flusses

Lorian Hemingway, Die Stimme des Flusses

Jeder wird sich irgendwann fragen, warum, wozu er hier ist, welchen Sinn sein Leben hat. Findet man ihn, gibt man ihn sich, wo kommt er her, woran orientiert man sich?  „Als ich so dasaß, dachte ich darüber nach, wie lange es dauert, bis man zu dem zurückkehrt, was man als erstes erfahren hat, eine elementare Wahrheit, die auch dann gültig bleibt, wenn man sich von ihr entfernt, und ich dachte, daß man bei seiner Rückkehr endlich weiß, warum man weggehen mußte. Denn was ist wichtiger zu begreifen, daß der Schmerz dazu da ist, um einen stärker zu machen.“
Und Schmerzen, körperlichen wie seelischen, ist Eva immer wieder ausgesetzt, wenn sie unter ihrer Umgebung, vor allem unter ihrer Mutter und ihrem Stiefvater leidet, die sie ausgrenzen, um sich miteinander zu amüsieren, die ihr kein Heim bieten, in dem sie sich räumlich und seelisch zu Hause fühlen kann. Sie wird immer wieder geschlagen und entwickelt eine unermessliche Wut, die in ihr kocht und brodelt. Nur wohin damit?
Einzig die Natur ist für Eva eine Quelle für Ruhe, Inspiration und Kreativität. Sie kann sie aber nicht wirklich für sich nutzen. So gerät Eva in einen immer stärker eskalierenden Kreislauf von Gewalt, der sich mal gegen andere, mal gegen sich selbst richtet. Nach einem Angriff auf ihren Stiefvater lässt ihre Mutter sie in eine psychiatrische Klinik einweisen, aus der sie nach einigen Elektroschockbehandlungen mit Hilfe einiger Mitarbeiter der Klinik fliehen kann. Auf der Flucht ermordet sie Bob, der sie zunächst im Auto mitnimmt und sie dann vergewaltigen will. Ja, es ist mit Sicherheit Notwehr, doch gleichzeitig wird deutlich, dass sie in Gedanken auch den Stiefvater ermordet hat.
Später heiratet sie einen Mann, den sie nicht liebt, weil sie sich nicht (mehr) zutraut, allein zu leben. Einzig ihre Tochter Olivia liebt sie innig, was ihr aber auch nicht hilft, die immer stärker werdenden Panikattacken auszuhalten. Wie ihre Mutter sucht sie Heilung im Alkohol und ist dabei sich kaputtzusaufen. Der Tod ihrer Tante Freda wird für sie Anlass, trocken zu werden.
Eva lernt, ihren Ängsten zu begegnen, macht sich die Parallelen zwischen ihrem Leben und dem der Mutter klar, der sie dann vor deren Tod verzeihen und in tiefer Liebe begegnen kann. Über einen disziplinier-ten und ritualisierten Tagesablauf und durch das Einlassen auf die Natur als Quelle ihrer Kraft erlernt Eva mühsam, zu leben und sich selbst auszuhalten, indem sie beginnt den Rat ihrer Tante in die Tat umzusetzen und aus Ton, den sie aus dem Fluss holen kann, Tonfiguren zu modellieren.
Dieser Roman hat mich bewegt, ist manchmal spannender als ein Krimi, wenn die inneren Ängste und Nöte Evas erzählt und durch kraftvolle (Natur-)Metaphern nahezu sichtbar gemacht werden. Der Heilung Evas und ihrer Versöhnung mit der Mutter und ihrer Tochter wird wenig Raum gegeben. Der Schluss ist dann recht unvermittelt. Insgesamt „starker Tobak“.

Lorian Hemingway, Die Stimme des Flusses, übersetzt von Sabine Hübner, Hamburg 1993, 352 S., ISBN 3-455-02776-8

8 Gedanken zu „Lorian Hemingway, Die Stimme des Flusses

  1. na ja, wenn ich auf „bea“ klicke, dann kam -zumindest bis vor meinem Kommentar – irgendeine Fehlermeldung! Jetzt nicht mehr, warum auch immer, aber nun gelange ich auf deine Seite! Mehr wollte ich nicht!

  2. Guten Abend :)

    Auf der Suche nach einer Rezension oder Zusammenfassung dieses wunderbaren Buches bin ich auf Deine Seite gestoßen. Du beschreibst es so treffend ..ich habe daher einen Link in meinem Blog zu Deinem Artikel gesetzt und hoffe, dass das in Ordnung für Dich ist? Wenn nicht, sag bitte Bescheid, und ich entferne die Verlinkung selbstverständlich wieder.

    Viele Grüße,
    Ocean

    1. Merci für diese positive Rückmeldung. Vielleicht findest du hier ja auch noch die ein oder andere literarische Anregung.
      Gern kannst du mich auf deinem Blog verlinken.
      Liebe Morgengrüße

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