Andreas Altmann, Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend

Andreas Altmann, Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend

Der Titel ist des Buches ist zutreffende Zusammenfassung des Inhalts. Andreas Altmann beschreibt das Leben seiner Familie, das man tatsächlich nur als ein Scheißleben bezeichnen kann, mit einer nach außen hin zunächst heilen Fassade: Sein gut aussehender Vater, Geschäftsmann einer florierenden Devotionalienhandlung in Altötting, genannt der Rosenkranzkönig, mit einer hübschen Frau und Kindern in einem eigenen Haus am Ort. Hinter der Fassade erleben die Beteiligten die Hölle auf Erden, einen despotischen Vater, der zunehmend brutaler gegenüber Frau und Kindern wird, der ohne Besinnung zuschlägt, demütigt, wo er nur kann, mit traumatischen Folgen für Frau und Kinder. Seine Frau ist Opfer, sie kann oder will sich nicht wehren, kann weder die Kinder, noch sich selbst schützen. Wird verjagt von jetzt auf gleich, ohne Unterhalt und ohne das Recht, die Kinder zu sehen, aber als nützlicher Sündenbock des Vaters für alles, was aus seiner Sicht schief läuft und das ist auch fast alles, da niemand es ihm Recht machen kann.

Unterstützt wird diese Umgangsform durch die bigotte Atmosphäre des katholischen Wallfahrtsortes, durch das „Immer-bedroht Sein und Immer-betraft-Werden. Jede Sekunde, und kein Atemzug Freude, nur immer Leben unter Mehltau, unterm Sargdeckel“ und durch seine Repräsentanten: prügelnde, demütigende Lehrer, Priester, die ebenfalls keine Scheu haben, Kinder zu prügeln, zu missbrauchen, sich im Beichtstuhl pikante Details von sündigen, unkeuschen Handlungen erzählen zu lassen und sich daran zu ergötzen.

Nutzt Andreas die Sprache seines Vaters, um Wirklichkeit zu verheimlichen, wenn er etwa immer wieder behauptet, Andreas Mutter habe Haus und Kinder verlassen, da sie krank sei, so ist Sprache für ihn aber auch, die Möglichkeit, Misshandlungen als solche zu benennen, durch Vergleiche als Bild vor den Augen des Lesers erscheinen zu lassen, Distanz zu schaffen, zu dem, was er erleiden musste, es zu verarbeiten, auszudrücken und da ist eine Menge Scheiße.

Seine „Widerspenstigkeit“, sein ausgeprägter Wille, den der Vater trotz allem nicht hat brechen können, helfen ihm dabei. Und sein Bruder Manfred, der einzige aus der Familie, dessen Unterstützung er sich immer sicher sein kann. Die Schilderungen seines Lebens enden mit dem Verlassen des „Irrenhauses“, nachdem der Vater in einem für ihn lebensbedrohlichen Kampf feige schluchzend vor seinem Sohn auf die Knie gegangen ist. Mit einem sich anschließenden furiosen Ritual: 

Andres hatte an die Mauer seines Zimmers “ ‚Gefängnisstrich‘ verteilt, noch genau 851 Tage wären es es bis zu meinem 21. Geburtstag gewesen, dem Tag der Volljährigkeit, der gesetzlich garantierten Freiheit, täglich genoss ich das Zweisekunden-Glück, vierundzwanzig Stunden durchstreichen zu dürfen, jetzt schmierte ich einen fetten roten Balken darüber: ‚Vorzeitige Entlassung wegen schlechter Führung!‘, Datum, Unterschrift:
Dann hinaus auf die Straße.  … Ich schluchzte vor Glück. Ich war frei.“

In einem sehr langen Nachwort beschreibt Altmann seine zahlreichen, meist vergeblichen Versuche, seinen Platz in der Welt zu finden. Erst in einem Zen-Kloster erkennt er:

„Nur du kannst dein Leben leben, keiner kann einen Weg für dich gehen, sprich: du bist allein.“  

Seine bis dahin noch vorhandenen Sehnsüchte, erlöst zu werden, enden schlagartig – ähnlich einem Blitzschlag. Er erinnert er sich an die Sendung Die Globetrotter in seiner Kindheit und an seinen Wunsch, zu reisen und darüber zu berichten, und will folgerichtig Reporter werden: „Reporter versprach Tempo, Fremde, Fremdsprachen, Aufregung, Nähe – und Schreiben.“
Und er lernt, reist, schreibt, erhält renommierte Preise für seine Reportagen und schrei(b)t sich mit diesem Buch seine Traumata von der Seele, wird Mann, macht einen Schnitt: „Ich kann Opfer nicht ausstehen, ich war selbst zulange eins. Ich mag die Renitenten, die „cut“ sagen und eine andere Richtung einschlagen.“

Es ist für mich ein mutiges, ein klares, ein klärendes, ein not-wendiges Buch, ein Buch das deutlich macht, dass Not(lagen) gewendet werden können, und sprachgewaltiger Ausdruck dessen, was er erlebt und wie er seinen Platz in der Welt gefunden hat. Es ist auch eine Abrechnung mit einer manipulativen Religion, die massiv dazu beiträgt, Menschen als Schafe demütig klein zu halten, die von Kants Aufforderung, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, offensichtlich nichts wissen will. – Seine Mutter hat er vergeblich versucht, zum Kirchenaustritt zu bewegen. Ihre Furcht, in die Hölle zu kommen, war zu groß:„Sie würde als vorbildliche Katholikin enden: unbelehrbar, sexlos, freudlos, angstzitternd, die zuverlässige Beitragszahlerin: das Modell- Schaf.“

Sein Leben als „Davongekommener“ schildert er ebenso eindrucksvoll und sprachmächtig in seinem Erzählband „Dies beschissen schöne Leben“.

Andreas Altmann, Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend, 10. Aufl. München 2011, 255 S., ISBN 978-3-492-05398-3

7 Gedanken zu „Andreas Altmann, Das Scheißleben meines Vater, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend

  1. Sprachgewaltig. Das trifft es. Die Auswirkungen dieses Aufwachsens werden trotz Therapien nie vergehn….
    Schon wie das Kind empfangen wurde, sollte es doch gleich wieder gehn.
    Kennengelernt habe ich Altmann durch Berichte über sein Durchstromern von Amerika, da hat mich diese Intensität fast umgehaun…
    Gruß von Sonja

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