Walter Kohl, Leben oder gelebt werden

Walter Kohl, Leben oder gelebt werden

Die Frage seines fünfjährigen Sohnes kurz nach dem Tod von Hannelore Kohl: „Papa, ist das Leben schön?“ führt Walter Kohl endgültig vor Augen, dass er nicht mehr darüber hinwegsehen und -fühlen kann, keinen Boden mehr unter den Füßen zu verspüren, so sehr er auch da immer noch in der Lage ist, im Außen gut zu funktionieren.

Ich lag am Boden und war damit auch auf dem Grund meiner Seele angekommen.

Sich diesem „Schrei der Seele“ und den damit verbundenen Schmerzen zu stellen, ist für Walter Kohl der „Moment des Aufbruchs“, der Beginn einer Reihe von Schritten hin zur Eigenverantwortung, raus aus dem (selbstgeschaffenen) „Opferland“.

„In dieser Stunde begannen meine faulen Kompromisse, meine mantrahaften, bis zur Perfektion eingeübten Entschuldigungen vor mir selbst zu zerbrechen. Ich wusste zwar noch nicht, was ich tun sollte, was ich ändern müsste. Aber eines wusste ich: Ich durfte und würde nicht mehr so weiter machen wie bisher.“

Ausgehend von den Gegebenheiten in seiner Familie, mit einem Vater, der immer schon in der Öffentlichkeit gestanden hat, den persönlichen Folgen und Konsequenzen als „Sohn vom Kohl“, einem Image, dem er immer wieder und immer wieder vergeblich zu entfliehen versucht, einer Mutter, die liebevoll und gleichzeitig streng das Familiensystem unter allen Umständen aufrecht erhält, erzählt Walter Kohl seinen Weg ins Leben.

Er schildert dabei immer auch die innere Befindlichkeit, seine Gefühle von Angst, Einsamkeit, das Gefühl, nicht gesehen und verstanden zu werden, wertlos zu sein, die er in den jeweiligen Situationen sicher gefühlt, aber weder zeigen, noch als Kind und Heranwachsender hätte benennen können. Immer wieder sieht er sich als Opfer, das den anderen ausgeliefert ist, und kämpft dagegen an, auch mit körperlicher Gewalt. So lassen ihn seine Lebensstrategien zwar im Außen groß und unabhängig erscheinen, gleichwohl verhindern alte, lange unbemerkte Glaubenssätze wirkliches Erwachsenwerden.

Der „Auszug aus dem Opferland beginnt mit dieser inneren Prüfung: Schafft man es, die alte Scham, die alten Muster zu überwinden und sich den alten Belastungen mit neuen Perspektiven und neuem Denken zu nähern?“

Walter Kohl hat es offensichtlich geschafft, weil er auch in der Lage war, zu erkennen, dass Versöhnung notwendig ist mit dem, was ist und dem, was gewesen, also nicht mehr veränderbar ist. Er beschreibt „die Fähigkeit zur Versöhnung“ als „Fähigkeit, schmerzende, negative Energien in heilende positive Energien zu transformieren, in Harmonie, Kreativität und Freude.“

Das Buch ist eine biografische Reise ins Innere und schildert die Suche nach dem eigenen Weg als „Sohn vom Kohl“, der er bleiben wird, auch wenn er inzwischen seinen eigenen Weg geht. Mit seinem Buch ermutigt er sicher auch andere Menschen, sich auf den Weg der Versöhnung mit anderen, vor allem aber sich selbst zu machen.

Walter Kohl, Leben oder gelebt werden. Schritte auf dem Weg zur Versöhnung. TB München 2013, 285 S., ISBN 978-3-453-70228-8

5 Gedanken zu „Walter Kohl, Leben oder gelebt werden

  1. Ja, dieses Buch ist ein sehr Persönliches! Und ein sehr Logotherapeutisches! Und wertvoll für jeden, der aufhören will sich mit Erlebnissen, Menschen oder Situationen weiterhin energieverzehrend im Kampf zu verbrauchen. Ich kämpfe in Wirklichkeit nur mit mir selbst – ich kann Frieden finden für mich, unabhängig von diesen Belastungen werden.

  2. Ja, Karl, schade nur, dass man manchmal so lange für diese Erkenntnis braucht. Doch die Lektüre dieses Buches kann hilfreiche Impulse geben, erste Schritte zu machen bzw. ermuntert weiterzugehen. Ich habe es schon mehrfach weiterempfohlen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert