Heinz-Peter Röhr, Narzißmus

Heinz-Peter Röhr, Narzißmus

Anhand des Grimmschen Kinder- und Hausmärchens „Der Eisenofen“ stellt der Psychotherapeut Heinz-Peter Röhr das Phänomen des Narzißmus in seiner ganzen Bandbreite – auch für Laien – verständlich dar. Er macht nachvollziehbar, dass Narzissten in einem inneren Gefängnis verhaftet sind, aus dem sie kaum herauskommen können. Denn sie wollen oder können zum einen ihre „Inhaftierung“ mit den damit einhergehenden Einschränkungen nicht wahrhaben und können dementsprechend Hilfe von anderen auch nicht annehmen, da sie Hilfe ja nicht brauchen. Ein Teufelskreis.

„Die Therapie der frühen Persönlichkeitsstörungen gestaltet sich, abgesehen von leichteren Fällen, nicht selten schwierig. … Das Märchen Der Eisenofen bildet nicht nur exakt Entstehung und Erscheinungsbild des krankhaften Narzißmus ab. Es findet auch Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit“.

In der Prinzessin, die dem Prinzen letztendlich bei seiner Erlösung hilft, lernt der Leser das (meist weibliche) Pendant kennen, das seine Gefühle kaum zurückzuhalten vermag: „Sie versinkt förmlich in diesen Gefühlen und verliert sich selbst, da sie nur noch die Bedürfnisse und Wünsche ihres Gegenübers spürt.“

Im Kontakt miteinander, mit den – nicht nur in den Märchen not-wendigen Prüfungen – lernen beide, sich der wirklichen Liebe zu öffnen, die eben nicht darin besteht, den anderen zu unterwerfen bzw. im anderen aufzugehen.

„Märchen als Nachhilfe für sie Seele“ – ein wunderbarer Gedanke, nicht nur in den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat.

„Narzißmus“ ist ein lesenswertes, anschauliches Buch über Narzissten im Märchen, denen man aber auch jederzeit in der Familie, der Arbeitsstelle und im Bekannten- und Freundeskreis begegnen kann.

Für den Autor ist Ziel des Buches, dass betroffene Narzissten ihre Störung besser verstehen und somit ihre Motivation für eine Therapie verbessern.

Nach der Lektüre wage ich allerdings zu bezweifeln, ob das tatsächlich möglich ist. Lesen werden es wohl eher die von Narzissten Betroffenen, die dann vieles vielleicht besser verstehen. Den Umgang mit ausgeprägten Narzissten macht es aber nicht zwingend leichter.

Heinz-Peter Röhr, Narzißmus, Das innere Gefängnis, 13. Aufl. München 2013, 192 S., einschließlich Anhang u. Literaturhinweisen, ISBN 978-3-423-34166-0

6 Gedanken zu „Heinz-Peter Röhr, Narzißmus

  1. Immer wieder hat man mit ihnen zu tun. Und das ist nicht einfach. Also will ich lesen, damit ich weniger dazu neige, die abzustempeln und links liegen zu lassen…

  2. Oh, dann lass mich mal nach der Lektüre wissen, zu welchem Kontaktergebnis du gekommen bist, welche Ideen du umsetzen willst, wenn du sie nicht mehr links liegen lassen willst. Das interessiert mich wirklich!

  3. Vor Jahren übergab mir mal ein Mitarbeiter ein Skript. Darin hatte er die Gedanken zum „Eisenofen“ niedergeschrieben, so, wie er die Gespräche zwischen sich und der Therapeutin festgehalten hatte.

    Auch er war in diesen Berichten gefangen im Eisenofen. Eingeschlossen im Stahl, konnte er nicht über die Dinge erzählen, die ihm wiederfahren waren. Das Familiensystem, so fragil es schon war, wäre gänzlich auseinandergebrochen.

    Schon als Junge wurde er in der Familie homosexuell missbraucht.

    Eine andere Sichtweise und Geschichte des „Eisenofens“. Dabei könnte mit Prinzessin und Prinz doch alles so schön sein.

  4. , wenn sie sie selbst sind!

    und: Vielleicht wäre das Auseinanderbrechen des Familiensystems der Beginn einer Heilung für alle gewesen, auch wenn das zunächst nicht so aussieht. Was nutzt ein System, wenn die Mitglieder missbraucht werden – wie auch immer.

  5. du glaubst gar nicht, wie sehr mich das trifft. Ob ich den Mut habe, das Buch zu lesen? Das Märchen habe ich gestern Abend gelesen und bin eingeschlafen, als die Prinzessin die zweite Nuss knacken wollte. :) Hier bricht im Moment das ganze Familiensystem zusammen, meine Familie, die meiner Schwester, mein Kontakt zu den Eltern, und hinter allem steht dieser schwarze Narzissmusschatten und die Angst, selber dazuzugehören und blind dafür zu sein. In der Hoffnung, dass hier „keiner“mitliest, bin ich einfach nur froh, es mal aufgeschrieben, hinausgeschrien, geflüstert zu haben.
    Danke.
    Gabriela

  6. Ich kann deine Angst gut nachvollziehen. Bricht einer aus einem solchen Familiensystem aus, um sich selbst zu schützen, gerät alles ins Wanken. Da das nicht sein darf, ist die Hölle los. Und ich weiß, wovon ich rede.
    Du kannst mir gern per Mail schreiben, wenn du möchtest.
    LbG und viel Kraft, Mut, Zuversicht und Gelassenheit wünsche ich dir!

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