Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen

Marceline Loridan-Ivens, Und du bist nicht zurückgekommen

„Ich habe gelebt, da du wolltest, dass ich lebe. Aber gelebt, wie ich es dort gelernt habe, indem ich die Tage nehme, wie sie kommen, einen nach dem andern. Trotz allem gab es schöne Tage. Dir zu schreiben hat mir gut getan.“

„Du bist nicht zurückgekommen“ ist ein Brief Marcelines an ihren Vater Szlhama Rozenberg, geschrieben etwa siebzig Jahre, nachdem er ihr aus Auschwitz einen kleinen Brief hat zukommen lassen, ihr, die sie ganz in seiner Nähe in Birkenau interniert war. Sie hat überlebt, er nicht, so dass er ihre Antwort – eine einzige Liebeserklärung an den Vater – nicht mehr lesen kann.

Es ist ein leiser, sehr berührender und nachdenklich machender Text über die Gräuel der Vernichtungs- und Konzentrationslager der Nazis, vielmehr jedoch eine Darstellung der Schwierigkeiten, danach weiterzuleben, in einer Welt, die von ihrem Schicksal nichts wissen will, einer Welt, die darunter leidet, dass viele Väter nicht zurückgekommen sind, ihren Platz in der Familie nicht mehr einnehmen konnten. „Man hat seinen Schmerz wegeräumt wie meine Erinnerungen. Nach dir war unsere Familie zu einem Ort geworden, wo man um Hilfe rief, aber niemand es je hörte.“

Die Schwierigkeiten weiterzuleben liegen aber nicht nur im Außen. „Der beendete Krieg zerfraß uns alle von innen her.“Sie, die im Lager alles tat, um zu überleben, hat Phasen, in denen sie kurz davor ist, Selbstmord zu begehen. „Man spürt sein Leben lang, dass man zurückgekommen ist. … Viele Begegnungen waren nötig, bis ich mich mit meiner Existenz, mit mir selbst abfinden konnte. Und viel Zeit, um lieben zu können.“

Irgendwann bekommt Marceline „Lust, etwas aus mir zu machen, ohne recht zu wissen, was, ich wollte in einer größeren Geschichte als meiner aufgehen.“
Mit ihren zweiten Mann Joris Ivens bereist sie die Welt und erschafft zahlreiche Dokumentarfilme, sie wird Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin.

Es wird ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Leben, das durchgängig mit dem Verlust der väterlichen Liebe auskommen muss. Mit diesem Brief an den Vater kehrt sie „zur Kindheit, zur Jugend zurück, die zu leben mit nicht gegeben war, und das ist in meinem Alter normal.“

Für mich eine lohnenswerte Lektüre, der ich viele Leser wünsche, die – so ganz nebenbei – auch noch die Schwierigkeiten der Frauen nach dem Krieg aufzeigt, ein emanzipiertes Leben zu führen.

Marceline Loridan-Icens, Und du bist nicht zurückgekommen, a.d. Franz. v. Eva Moldenhauer, Insel Verlag, Berlin 2015, 110 S., ISBN 978-3-458-17660-2

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