Mark Schaevers, Orgelmann

Mark Schaevers, Orgelmann

„Orgelmann“ ist eine Heranführung an ein Malerleben, an das von Felix Nussbaum, jüdischer Maler, in Auschwitz ums Leben gekommen und in der Öffentlichkeit lange unbekannt.

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Libeskind konnte für die Werke Felix Nussbaums, die mit zahlreichen Abbildungen in diesem Band zu sehen und zu betrachten sind, in Osnabrück ein Museum bauen. Doch bis dahin war es ein weiter und mühsamer Weg, den Nussbaums Werke haben nehmen müssen, die teilweise in Kellern, auf Dachböden den Krieg überlebt haben, Vermächtnis eines Malers, der sich selbst und seine Frau Felka Platek nicht retten konnte.

Mark Schaevers hat viel und ausgiebig recherchiert, Interviews geführt, sich in Archiven umgeschaut, Reisen unternommen und akribisch aufgeschrieben, was er über Felix Nussbaum und seine spätere Frau in Erfahrung bringen konnte.

Sein Verdienst besteht darin, deutlich zu machen, „was wir alles verloren hatten: die soziale Kunst der zwanziger Jahre, die Neue Sachlichkeit. Und zu diesem Verlust gehörte auch Felix Nussbaum.“, so wird Hasenclever, ein Münchener Galerist, zitiert.

Das Buch macht neugierig, auch auf das Felix Nussbaum Haus in Osnabrück, in dem – leider – am 28.08.2016 eine Ausstellung mit Werken Felka Plateks zu Ende gegangen ist. Die hätte ich mir nämlich gern angesehen, um die Urteile Schaevers hinsichtlich ihrer minderen Begabung im Vergleich zu ihrem Mann Felix überprüfen zu können.

Und das führt dann auch zu Eigenarten des Buches, die mich beim Lesen zunehmend gestört haben: Die ausprägte Detailverliebtheit des Autors, bei der der Verdacht aufkommt, dass eher die Darstellung des Autors mit seinem Wissen im Vordergrund steht, der sowieso ständig mit Wertungen, Werturteilen präsent ist, sagt, was er in Bildern sehen oder nicht erkennen kann. So etwa wenn er über Nussbaums Selbstbildnis mit Felka „Soir“ schreibt:

„Zärtlichkeit kann ich in diesem Bild nicht erkennen; in einer argwöhnischen Welt halten sich die beiden in einem merkwürdigen Griff gefangen.“

Weshalb überlässt er das Interpretieren nicht seinen Lesern?

Weitaus gravierender aber finde ich einige sprachliche Entgleisungen und Darstellungen, etwa wenn man Folgendes liest:

„‚Deutsche Akademie. Kurzer Besuch. Herrliche Anlagen. Da lässt sich leben‘, vertraut Goebbels seinem Tagebuch über seinen Besuch in der Villa Massimo an. Es ist reizvoll, sich die Begegnung von Goebbels und Nussbaum vorzustellen. Sind sie ungefähr gleich klein? (Hervorhebung durch mich)
Eine solche Begegnung hat es nie gegeben, denn kurz vor Goebbels‘ Besuch in der deutschen Akademie wurde Felix Nussbaum hinausexpeditiert.“

Kurz darauf schreibt Schaevers in dem Kapitel über Nussbaums Aufenthalt in Paris:

„Sein ehemaliger Nachbar (in der Villa Massimo) Arno Breker wäre der richtige Mann, um hier als Führer (s.o.) zu dienen: Monparnasse war sein Biotop“
Eine solche Nähe von Nazis und den von ihnen missachteten Juden in einem Satz finde ich nahezu unerträglich, auf jeden Fall äußerst unsensibel so wie auch folgende Kapitelüberschriften:

„Der sanfte Feind“ oder „Die Jagdsaison“

Es sind immerhin Kapitel, in denen es um die Methoden der Nazischergen und ihrer Helfer in Brüssel, Amsterdam und anderswo geht, Städte, in denen Verwandte Nussbaums versuchen zu überleben. Wobei ich fairerweise nicht beurteilen kann, ob sie der Übersetzung geschuldet sind oder nicht.

Wenn er dann aber aus „Tortur“, einem Werk von Hans Meyer, verpuppt zu Jean Améry“ zitiert, in dem dieser von seinen Foltererlebnissen im Fort Breendonk berichtet, nur um dann anschließend zu fragen:

„Ich … frage mich, wie es bei Felix Nussbaum gelaufen ist (s.o.).“ Dann wünscht man sich doch weniger umgangssprachlich flapsige Wendungen, also mehr sprachliche Sensibilität. Es finden sich aber auch Stellen, an denen man sich dann doch eine deutlichere Stellungnahme Schaevers gewünscht hätte, etwa wenn er Adolf Eichmann unkommentiert das Wort erteilt:

„Sicherlich, am Anfang rollten die Transporte aus den Niederlanden so flott, so der Logistikexperte der SS, Adolf Eichmann, bei seinem Prozess in Jerusalem, ‚dass man sagen kann, es war eine Pracht‘ “

Die euphorischen Lobeshymnen auf dem Buchcover – so mitreißend geschrieben wie ein guter Roman – kann ich nicht teilen. Dennoch halte ich das Buch – trotz der erwähnten sprachlichen Unsensibilitäten – wirklich für lesenswert, lässt es doch Nussbaums Werke wieder strahlen und wirken. Der Maler tritt aus dem Nichts der Vergessenheit ins heutige Gedächtnis und erhält – leider erst post mortem – die ihm zustehende Würdigung und Beachtung, wenngleich oft auch auf sehr fragwürdige, kommerzielle Art und Weise. Auch darauf weist Schaevers dankenswerterweise hin.

Mark Schaevers, Orgelmann. Felix Nussbaum – Ein Malerleben, a.d.Niederländischen v. Marlene Müller-Haas, Galiani Verlag, Berlin 2016, 469 S., mit ausführlicher Literaturliste, ISBN 978-3-86971-135-5

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