Eduard von Keyserling, Fürstinnen

Eduard von Keyserling, Fürstinnen

Muss man heute noch etwas über Fürstinnen lesen? Das Interesse an der „Yellow Press“ zeigt zumindest, dass ein solches vorhanden ist. Aber Literatur über längst vergangene Fürsten-Epochen?

Doch auch Personen von Adel beschäftigen sich – wenn sie sich eigenständiges Denken jenseits der Etikette erhalten haben – ob man nicht insgesamt zu viel Zeit in seinem Leben verschwendet hat, „um eine gute Figur“ zu machen bzw. worum es eigentlich im Leben geht.

“ ‚Wir alle glauben, würde unser Leben uns gegeben, damit wir es noch einmal leben, wir würden es besser machen. Wenn es so Korrekturbogen … des Lebens gäbe.‘
Korrekturbogen, ganz richtig, in denen wir alles was uns missfällt, mit dicken schwarzen Strichen ausstreichen könnten.‘
‚Und doch … in guten Stunden, wenn wir geneigt sind zu verzeihen, dann verzeihen wir auch unserem Leben.'“ so ein Auszug aus einem der vielen Gespräche zwischen der verwitweten Fürstin und dem vierzig Jahre alten, immer noch ledigen Graf Donald Streith.

Ein Leben mit Etikette bedeutet in den meisten Fällen, vorgegebene, vorgezeichnete Lebensläufe zu übernehmen und damit das Wohlwollen der Etablierten auf seiner Seite zu haben, in der Regel in gesicherten, als Frau aber in unmündigen Verhältnissen zu leben. Konsequenz davon ist meist, eigene Gedanken, Empfindungen für sich zu behalten und aufs eigene Herz erst gar nicht zu hören, wie Prinzessin Agnes die aus Mangel an standesgemäßen Prinzen ledig geblieben ist und ihr Leben mit der Organisation von Wohltätigkeiten gefüllt hat:

„Heutzutage spricht eine jede von der Stimme ihres Herzens. Wir hatten auch Herzen, als wir jung waren, aber es war von ihnen nicht die Rede. Heute spricht eine jede von ihrem Herzen, als sei es ein Generalleutnant, dem gehorcht werden muss.“
Diese Haltung missfällt ihr auch an der Fürstin und deren jüngster Tochter Marie. Denn die beiden älteren Töchter sind bereits standesgemäß verheiratet.

Marie versucht ab und zu, sich heimlich den Erwartungen an sie zu widersetzen. Sie hat sich in Felix, einen jungen Leutnant, verliebt und verliert sich in romantischen Träumereien über ihre Zukunft, sämtliche Realitäten ausblendend. Er wird so zum Retter aus ihrem trostlosen, so sinnlosen Leben stilisiert.
„Sie erlebte jetzt eine bedeutsame Zeit. Zum ersten Male fühlte sie sich leben, fühlte ihren Körper und ihr Blut, sie fühlte sich als etwas, das wundersam blüht; zum ersten Male sah sie sich leben und wartete gespannt, was ihre Liebe und ihr Schmerz sie zu tun und denken heißen würde.“

Ähnliches erhofft sich Graf Streith von Britta, einem jungen Mädchen, das mit seiner Mutter in einem Waldhaus lebt. Mit ihr fühlt er sich, seiner „Altherrenbehaglichkeit“ entführt, wieder jung. Zu spät bemerkt er, dass sie ihn an Deborah, seine erste Kinderliebe erinnert. Da hat er sich – aus einer Laune heraus – bereits mit ihr verlobt und damit der Fürstin, die sich Hoffnung auf eine Ehe mit ihm gemacht hat, „Streith war die Poesie in ihrem Leben gewesen“, jede Lebensperspektive genommen:

„Der Gedanke, irgendjemand könnte ahnen, was ihr angetan worden war, erschien ihr unerträglich. Sie war wieder die unnahbare, engelsgute Fürstin. Das Leben ging an ihr vorüber, und ihr blieb nur ihre Würde.“

Doch Graf Streith wird krank und stirbt, bevor er mit Britta verheiratet ist. Von ihm wird erzählt, dass er sich noch mit vierzig auf das eigentliche Leben vorbereitet:
„Einige Jahre waren vergangen, und er richtete sich immer noch ein, immer noch war alles Vorbereitung, und das Leben, auf das er sich freute, hatte noch nicht begonnen.“

Sich nur aufs „eigentliche“ Leben vorzubereiten, ermüdet, entzieht einem die Lebenskraft:
„Er wusste nicht, was er wollte. Bald wollte er dies, bald wieder etwas ganz anderes. Er hatte ein unruhiges Herz … und ein unruhiges Herz taugt nicht, ist nicht gesund, unruhige Herzen dauern nicht.“

Das Neue, Lebendige, Unkonventionelle, das in sein Leben einziehen sollte, hat keine Überlebenschance, wie der letzen Satz des Romans nur allzu sichtbar macht:
„Die Fürstin stand noch immer regungslos da und schaute dem Wagen nach, wie er die Allee hinabfuhr, … immer kleiner wurde mit seinem schwarzbedeckten Sarge, seinen weißen Kränzen, in deren Mitte Brittas Kranz lag, heiter in seiner Farbenpracht, wie ein helles Jugendlachen.“

Ob nun Romane aus dem Anfang des 20 Jahrhunderts für einen sinnvoll sind, sich mit dem Sinn des eigenen Lebens auseinanderzusetzen, mag jeder Leser für sich selbst beantworten. Die räumliche und zeitliche Distanz eröffnet vielleicht eher die Möglichkeit, auf’s eigene Lebens zu schauen und sich zu fragen, bereite ich mich immer noch auf’s „eigentliche Leben“ vor oder lebe ich schon mein Leben, und was genau ist mein Leben?

Eduard von Keyserling, Fürstinnen, Roman, mit einem Nachwort v. Malte Fischer, Manesse Verlag, Zürich 2017, insgesamt 315 S., ISBN 978-3-7175-2436-6

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