Ralf Rothmann, Der Gott jenes Sommers

Ralf Rothmann, Der Gott jenes Sommers

Luisa ist ein zwölfjähriges Mädchen, begeisterte Leseratte, die alles verschlingt, was sie an Büchern bekommen kann, auch nachts noch bei Kerzenschein in ihrer Dachkammer. Sie lebt mit Mutter und Schwester als in Kiel Ausgebombte auf einem Gutshof ihres Schwagers Vincent, eines SS-Offiziers. Der Vater ist in Kiel geblieben. Er leitet ein Offizierskasino und taucht nur ab und zu mit diversen Luxusgütern auf, die es offiziell nicht mehr zu kaufen gibt. Woher er sie hat und welchen Preis er dafür zahlen muss, kann man nur erahnen. Das Leben während des Krieges ist für Luisa, ihre Mutter und Schwester mit vergleichbar wenig Einschränkungen verbunden.

Luisa ist ein aufgewecktes, neugieriges, noch unschuldiges Mädchen, das mit offenen Augen durch die Welt geht, sich aber vieles, was sie sieht, nicht erklären kann: Gefangene, warum werden sie hinter Stacheldraht gehalten, sind es Sträflinge oder Häftlinge? Woher hat die Perückenmacherin die vielen Haare? Was macht der mit Farbe überstrichene, aber immer noch sichtbare Davidstern auf dem Treppengeländer der Villa, die seit kurzem ihr Schwager mit ihrer Halbschwester Gudrun bewohnt? Weshalb wird ein Marineoffizier in Fesseln von einer Feier im Hause des Schwagers abgeführt?
Und wo ist ihre so lebenslustige, auf spendable Männer fokussierte ältere Schwester geblieben, die das Fest in Begleitung eines verheirateten Hauptmanns verlassen hat, aber zu Hause nicht mehr ankommt?

Der Roman ist nur scheinbar aus der kindlichen Perspektive heraus geschrieben. Ein immer präsenter auktorialer Erzähler weiß um die Erklärungen für das, was Luisa sieht: Der abgeführte Marineoffizier hat sich – schon ziemlich besoffen – in der Küche der Villa darüber mokiert, dass das bis dahin eherne Gesetz der Kriegsschifffahrt, die Besatzung eines versenkten Feindschiffes zu bergen, von seinem Oberbefehlshaber einfach außer Kraft gesetzt worden ist. Auch Schwester und Vater haben nicht immer regimetreue Ansichten von sich gegeben, zwar verklausuliert, aber doch immer ziemlich eindeutig. Vermutlich haben auch Vincent und Gudrun ihre Hände mit im Spiel, dass auf einmal auf dem Gutshof dann doch Flüchtlinge einquartiert werden und die Familie zusammenrücken muss. Denn Luisa hat sich heftigst gegen die sexuellen Übergriffe ihres Schwagers gewehrt, der sie als sein Geburtstagsgeschenk ansieht.

Der Roman erzählt keine lineare Handlung, sondern eher Episoden, scheinbar so wie Luisa ihre Tage verbringt: mit Arbeiten auf dem Gutshof, Ausflügen mit dem Fahrrad in die Umgebung, Luisas Verwirrung ob der ihr unbekannten Gefühle, die sie hat, wenn sie den jungen Melker Walter sieht, ihre Suche nach neuen Bücher, ihr Besuch eines Freundes, deren Mutter Perückenmacherin ist.

Ergänzt oder eher unterbrochen wird dieser Strang durch Einschübe mittelalterlich barock anmutender Episoden des fiktiven Schreibers Merxheims und seines Gefährten Bubenlebs, die von ihren Visionen berichten, offenbar während des Dreißigjährigen Krieges mit all seinen, zum Teil sehr detailliert geschilderten Gräueln der damaligen Krieger an der Bevölkerung, eine Kirche über das Wasser in ein anderes Dorf zu bringen. Diese Schilderungen fungieren offensichtlich als Parallele zu den Gräueln der Nazi-Schergen, die im Roman selbst nur sehr indirekt und „dezent“, quasi nur als Anspielungen Erwähnung finden, dann meist auch noch moralisierend glorifiziert mit menschenverachtender Naziideologie aus der Perspektive der Täter, die sich – wie Schwager Vincent – als wahrer Menschenfreund generieren. Dann aber – der Gerechtigkeit sei dank – nach dem Krieg genau deswegen hingerichtet wird.

Der Roman lässt mich als Leserin ein wenig ratlos zurück. Die Figuren sind sehr klischeehaft geraten, moralisch in Gut und Böse und die Menschlichen dazwischen eingeordnet. Die Dialoge sind entsprechend oftmals vorhersehbar, weil den moralischen Positionen der jeweiligen Personen zugeordnet. Ich bleibe mit der Frage zurück, was hat mir der Roman an neuen Erkenntnissen oder Einsichten gebracht? Wenn ich ehrlich bin: Nicht viel, um nicht zu sagen, gar nichts. Vielleicht aber habe ich auch schon zu viele Romane gelesen, die sich mit den Ereignissen des Nazizeit auseinandergesetzt haben. Dieser gehört für mich leider nicht zu den empfehlenswertesten.

Ralf Rothmann, Der Gott jenes Sommers, Roman, Berlin 2018, 254 S., ISBN 978-3-518-42793-4

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