Martin Buber, Der Weg des Menschen

Martin Buber, Der Weg des Menschen


„Betrachte drei Dinge. Wisse, woher du kamst und wohin du gehst und vor wem du dich zu verantworten hast.“

Diese drei „Dinge“ können den Menschen im Sinne Martin Bubers auf seinen Weg bringen, aus seinem Leben einen Weg machen. Dieser Weg beginnt mit der Erkenntnis, dass sich der Mensch oft vor sich selbst versteckt:

„Um der Verantwortung für das gelebte Leben zu entgehen, wird das Dasein zu einem Versteckapparat ausgebaut.“

Für Martin Buber ist es in erster Linie ein sich Verstecken vor Gott, letztendlich aber ein sich Verstecken vor sich selbst mit der Konsequenz, die Verantwortung für das eigenen Leben nicht zu übernehmen und sich nicht auf den Weg, auf die Suche zu machen.

Was aber heißt es, sich auf den Weg zu machen?

Buber erzählt Geschichten aus der jüdischen, chassidischen Tradition, die darlegen können, dass und wie man sich auf den Weg macht und welche Irrwege sich auftun können durch unfruchtbare Selbstbesinnung, Selbstzweifel, Vergleiche mit anderen etc.

„Es geht nicht an, dem Menschen zu sagen, welchen Weg er gehen soll. Denn da ist ein Weg, Gott zu dienen durch Lehre, und da, durch Gebet, da, durch Fasten, und da durch Essen. Jedermann soll wohl achten, zu welchem Weg sein Herz ihn zieht, und dann soll er sich diesem mit ganzer Kraft erwählen.“

Es ist keine Aufforderung, bestimmte religiösen Regeln zu befolgen, bestimmte Ziele zu erreichen, sondern eine Lehre, „die auf der Tatsache aufgebaut ist, daß die Menschen in ihrem Wesen ungleich sind, und die demgemäß sie nicht gleichmachen will. Alle Menschen haben Zugang zu Gott, aber jeder einen andern. Gerade in der Verschiedenheit der Menschen, in der Verschiedenheit ihrer Eigenschaften und ihrer Neigungen liegt die große Chance des Menschengeschlechts.“

Das setzt in hohem Maße Toleranz voraus, heute wichtiger denn je. Man muss nicht unbedingt an Gott glauben, um bedenkenswerte Fragen und Aspekte für das eigene Leben zu finden, um sich zu fragen: Wo stehe ich auf meinem Weg, wie, wo stehe ich mir selbst im Wege, wo verstecke ich mich vor mir selbst in meiner Eigenart, meiner Besonderheit?

Angenehm ist zudem, dass Buber nicht mit moralisch drohendem Zeigefinder erzählt. Die Geschichten sind zum Schmunzeln, oft tief ironisch. Bei genauerem Hinsehen gerät man dann an die eigentlichen, an die eigenen Fragen:

„‚Es gab einmal einen Toren, den man den Golem nannte, so töricht war er. Am Morgen beim Aufstehen fiel es ihm immer so schwer, seine Kleider zusammenzusuchen, daß er am Abend, dran denkend, of Scheu trug, schlafen zu gehen. Eines Abends faßte er sich schließlich ein Herz, nahm Zettel und Stift zur Hand und verzeichnete beim Auskleiden, wo er jedes Stück hinlegte. Am Morgen zog er wohlgemut den Zettel hervor und las: >die Mütze< – hier war sie, er setzte sie auf, >die Hosen< – da lagen sie, er fuhr hinein, und so fort, bis er alles anhatte. >Ja aber, wo bin ich denn?< fragte er sich nun ganz bang, >wo bin ich nur geblieben?< Umsonst suchte und suchte er, er konnte sich nicht finden.‘ ‚So geht es auch uns‘, sagte der Rabbi.“

Die sechs Kapitel werden jeweils mit einem für Andreas Felger typischen, farbigen Aquarell eingeleitet. Entstanden ist ein Dialog zwischen Bild und Text, in den der Leser einbezogen wird. Das entstandene Buch regt an, sich in Heiterkeit, Humor und Stille mit den existentiellen Fragen des Lebens zu beschäftigen, unabhängig von jeder Religion. Man könnte an manchen Stellen „Gott“ vielleicht durch „Liebe“ ersetzen und sich fragen, ob man sich noch auf dem Pfad der Liebe befindet, der Selbstliebe beinhaltet, wenn nicht gar voraussetzt.

Martin Buber, Der Weg des Menschen. Mit Aquarellen von Andreas Felger, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2018, 89 S., ISBN 978-3-579-08549-4

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