Susanne Nadolny (Hg.) Oh Boy! Von der Liebe zu jüngeren Männern

Susanne Nadolny (Hg.) Oh Boy! Von der Liebe zu jüngeren Männern

Das Cover dieses neu erschienenen Bandes täuscht ein wenig. Mann wie Frau scheinen alterslos, also gleichaltrig. Der tatsächliche Altersunterschied zwischen den Frauen und ihren jüngeren Freunden, Geliebten, von denen in den Texten die Rede ist, ist teilweise aber erheblich. Einige könnten Söhne der jeweiligen Frauen sein. Dennoch verstehe ich nicht, weshalb der Begriff „Boys“ benutzt wird, genauso wenig wie die immer weiter um sich greifende Bezeichnung „Mädels“ auch für erwachsene Frauen. Ich sehe in diesen „Verniedlichungen“ einfach keinen Sinn

Trotz bekannter Ehepaare von großem Altersunterschied zwischen Frau und Mann – wie Frankreichs Première Dame Brigitte Macron und ihr Ehemann – ist es noch immer kein gewöhnliches Bild, weder im normalen (Familien-) Alltag, noch in der Welt der Literatur:

„Und dann kam mir die Idee, dass ein Buch darüber geschrieben werden müsste, über die Liebe zwischen älteren Frauen und jungen Männern, und warum sie so selten als Liebespaar auftauchten, in der Realität wie in der Literatur, so viel seltener als ältere Männer und junge Frauen, über dieses Ungleichgewicht also und über die eigene Scham, die mit so einer Liebe und so einem Begehren verbunden war, eine Scham, die es bei jenen alten Männern nicht zu geben scheint, die sich vielmehr brüsten mit ihrer geglückten Objektwahl, dem Triumph, der ihre anhaltende Attraktivität und Potenz beweist.“

„Oh Boy!“ ist eine Textsammlung, meist Auszüge aus Romanen und Novellen verschiedener AutorInnen, in denen ältere Frauen ein meist heimliches Verhältnis zu jüngeren Männern haben. Da herrscht viel von Scham, Sprach- und Fassungslosigkeit der Beteiligten und ihrer Mitmenschen vor und damit verbunden die Thematisierung des Altersunterschiedes, wohl wissend, das Liebe alterslos ist. Nicht immer sind es wirkliche Liebes-Verhältnissse, da stehen auch andere Interessen im Vordergrund.

Dennoch gibt es Frauen, wie die mehrfache Mutter in Madame Nielsens „Schamlose Freude“, die mit aristokratischer Haltung und Selbstbewusstsein ihre „erschütternde, heftige, verzehrende, fleischfressende, kannibalische Leidenschaft“ zu einem 19-Jährigen genießt, was allerdings ihre Familienmitglieder vor Entsetzen stumm werden lässt

„… doch ohne einander etwas zu sagen, ohne darüber zu reden, oder esüberhaupt zu erwähnen, sie brauchten es nicht, dass die anderen wissen, dass sie es wissen, von einem Glück erfüllt, das nicht ihnen gehört, auch nicht der Mutter oder dem portugiesischen Jüngling, sondern der ganzen Welt.“

und die pubertierende Tochter in arge Selbstzweifel stürzt.

„Die Tochter, sie verkraftet es nicht, ist wie die anderen kurz davor zu zerspringen, aber aus Verzweiflung, als wäre ihre Existenz bedroht und nicht die der Mutter, sie das junge Mädchen, die Einzige im Haus, die noch beinahe Jungfrau ist, sie die das Objekt des Verlangens, Begehrens, und der Blicke sämtlicher vier Männer sein sollte, sie, die sich erst noch entfalten, aufblühen, anfangen, ihr leben als Frau zu leben, sich von ihrer Mutter zu loslösen soll, ist übergangen, übersehen, ausgelöscht worden – schamlos! – von ihrer eigenen Mutter …“

Nicht in allen Texten geht es derart dramatisch zu. Die Liebe im Ausschnitt aus der Novelle „Schweigeminute“ von Siegfrieds Lenz kommt leiser, zärtlicher daher. Dennoch muss auch sie heimlich gelebt werden, denn sie ist die Lehrerin, er ihr Schüler. „Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen“ würde diese Liebe im Amtsdeutsch heißen und wäre demnach eine Straftat.

Mir hat die Lektüre dieses schmalen Bändchens gefallen. Ich habe es streckenweise amüsiert, nachdenklich mit eigenen, im Kopf sich auftuenden Fragen gelesen, die einmal mehr mein eigenes Alter in den Focus stellen und in jeder Hinsicht nach einem verträglichen liebevollen Umgang und nach Antworten damit herausfordern.

Susanne Nadolny (Hg.), Oh Boy! Von der Liebe zu jüngeren Männern, Verlag ebersbach & simon, Berlin 2018, 141 S., ISBN 978-3-86915-171-7

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