Corinna T. Sievers, Vor der Flut

Corinna T. Sievers, Vor der Flut

„Ich bin einundfünfzig Jahre, Zahnärztin und Nymphomanin.
Meine Geschichte zu erzählen erfordert schonungslose Ehrlichkeit und Offenheit, mein Ich ebenso Studienobjekt wie das dasjenige der gevögelten Männer, und auch der ungevögelten. Nur eine sorgfältige Untersuchung aller Beteiligten wird zur Auflösung führen, sei sie Versöhnung, Trennung oder Tod.“

Die Ich-Erzählerin weist schon auf der ersten Seite daraufhin, was den Leser, den sie immer wieder anspricht, erwartet: schonungslose Offenheit. Ab und zu warnt sie dann auch:

„Die Hypersexualität ist eine im internationalen Klassifikationssystem für Diagnosen verzeichnete Krankheit und betrifft Menschen, die über einen Zeitraum von sechs Monaten wöchentlich mindestens sieben Orgasmen haben, was uneingeschränkt auf mich zutrifft. Wenn ich nicht beischlafe, besorge ich es mir selbst. Sollten Sie die Schilderungen für entbehrlich halten oder sich gar abgestoßen fühlen, lesen Sie weiter auf Seite zweiundvierzig.
Im Anschluss werden Sie der Ehefrau meines künftigen Geliebten begegnen.“

Es ist ein Roman, in dem man die Protagonistin, die auf einer Nordseeinsel lebt, im Winter eine Woche lang begleitet. Auf der einen Seite erfährt man, welch lieblose Ehe sie mit ihrem Mann, einem Psychiater, führt, der kurz nach ihrer Hochzeit – vor immerhin fünfundzwanzig Jahren – aufgehört hat, mir ihr zu schlafen. Er hat nichts gegen ihre sexuellen Eskapaden, im Gegenteil. Er wartet stets auf sie, meist mit einem Glas Rotwein und führt häufig noch eine Art psychiatrisches Gespräch mit ihr.

Auf der anderen Seite erfährt man bis ins kleinste Detail, wie sie sich auf die Männer vorbereitet, mit denen sie schläft, wo immer sich die Gelegenheit ergibt: in ihrer Praxis, im Hotel, im Haus des jeweiligen Geliebten.

Sie betreibt nicht nur extreme Körperhygiene, sondern nimmt auch Drogen, um den körperlichen Strapazen gewachsen zu sein, Medikamente, um eventuelle Ansteckungsgefahren zu minimieren, denn sie schläft ohne Kondom mit den Männern, und Medikamente, die ihre körperlichen Alterserscheinungen – sie spricht vom Verfall – verlangsamen sollen.

Sie ist eine von ihrem Bedürfnis, mit Männern zu schlafen, Getriebene, zudem scheinbar suizidgefährdet. Sie setzt ihren Ruf, ihre sozialen Kontakte, ja selbst ihre berufliche Grundlage aufs Spiel.

Insofern ist es vielleicht ein interessantes Buch über eine liebeskranke Frau. Die vielen Fachtermini machen das Lesen allerdings nicht lustvoller und stehen im krassen Gegenteil zu der sonst ziemlich vulgären Sprache hinsichtlich ihres Sexuallebens. Aber vielleicht ist auch das Teil der Symptomatik.

Zudem fragt man sich immer wieder, weshalb sie sich nicht von ihrem Mann trennt, den sie als solchen offen verachtet. Ihre Antwort ist, sie sei ihm hörig.

Gleichzeitig droht Gefahr von Außen: Ein Eisberg, der durch den Sturm an die Küste getrieben wird, gefährdet das auf einem Strandgrundstück stehende Haus, in dem sie mit ihrem Mann wohnt. Die Funktion dieser „Nebenhandlung“ wird erst am Schluss erkennbar.

Ich habe den Roman nur widerwillig gelesen, fühlte mich verpflichtet durchzuhalten, da ich keine Bücher rezensiere, die ich nicht ganz gelesen habe. Konnte mich immer wieder fragen, worin genau mein Widerstand besteht. Nur das kann ich auch in meinem normalen Alltag. Dazu muss ich „Vor der Flut“ nicht lesen.

Corinna T. Sievers, Vor der Flut, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2019, 222 S., ISBN 978-3-627-00261-9

3 Gedanken zu „Corinna T. Sievers, Vor der Flut

  1. Liebe Monika,

    vielen, herzlichen Dank für dein Lesen und die Rezension! Ich weiss beides sehr zu schätzen.

    Alles Liebe, deine Corinna aus Zürich

  2. Oh! Danke!
    Überraschung.
    Ich kann mich nicht daran erinnern, je die Rückmeldung eines Autors, einer Autorin bekommen zu haben.
    Herzliche Grüße von Speckhorn nach Zürich

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