Matthias Heine, Verbrannte Wörter

Matthias Heine, Verbrannte Wörter

Zunächst hab‘ ich mit großem Erstaunen festgestellt, dass der Duden Verlag nicht nur den Duden in all seinen Varianten herausgibt, sondern auch andere Bücher. Das war mir echt neu. Nun gut, man lernt immer noch dazu ;)

Stutzt ihr auch ab und zu bei Begriffen, die ihr – neuerdings auch wieder Politiker – benutzt, und fragt euch, ob die überhaupt noch verwendet werden sollten oder eher aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ stammen – so der Titel eines längst vergriffenen Buches – und daher nicht mehr zu benutzen sind?

Mit Matthias Heines „Verbrannte Wörter“ haben wir die Möglichkeit zu überprüfen: „Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht“.
In einer ausführlichen Einleitung geht Heine auf verschiedene Kennzeichen der NS-Sprache und ihre spezifischen Neologismen ein, die oft aus dem Bereich des Sports, der Biologie, der Technik, aber auch der Religion kamen. Selbst Satzzeichen wie das Ausrufezeichen, meist in einer Reihung von mehr als zwei Ausrufezeichen und kombiniert mit Wortreihungen und Dopplungen wurden zu Kennzeichen der Nazisprache, die dank des Volksempfängers oft eher mündliche als schriftliche Verbreitung fand. Bei einigen Kennzeichen etwa der Verwendung des bestimmten Artikels, beginnt man zu stutzen und sieht Parallelen zu politischen Gruppen, die den bestimmten Artikel oftmals benutzen um Zugehörigkeiten zu Gruppen zu verdeutlichen: Die Juden, die Muslime, die … und gleichzeitig andere damit ausgrenzen – zu welchem Zweck auch immer.

Zeitzeugen wie Victor Klemperer und andere hatten überhaupt keinen Zweifel daran, dass es eine solche „Lingua Tertii Imperii (Sprache des Dritten Reiches) gab. Heutige Zeitgenossen sind Heines Meinung nach über die Herkunft gewisser Begriffe in der Regel nicht mehr wirklich informiert.

Dann führt der Autor in alphabetischer Reihenfolge 87 Wörter auf, beschreibt deren Herkunft und Verwendung während der Nazizeit und gibt am Schluss jedes Wortabschnittes Empfehlungen, ob das Wort heute noch unbedenklich benutzt werden kann oder nicht. Für das Wort „entartet“ kommt er zu folgendem Ergebnis:

„Das Wort entarten ist trotz seiner langen relativ harmlosen Vorgeschichte heute so eindeutig mit dem NS-Sprachgebrauch verbunden, dass es nicht mehr zu retten ist. Es gibt auch keinen Grund dafür, denn es handelt sich weder um ein besonders schönes noch um ein besonders urtümliches oder aussagekräftiges Wort. Außerdem existieren ausreichend Alternativen.“
Das Ergebnis ist wenig überraschend, wenn auch die Entstehungsgeschichte interessant ist – zumindest für „Wortliebhaber“.

„Ein braunes Süppchen kochen“ bedarf ebenfalls keiner längeren Erläuterung. Aber wusstet ihr, dass der auch heute noch verbreitete Begriff „Eintopf“ seine Popularität den „Eintopfsonntagen“ zu verdanken hat, die die Nazis eingeführt haben?
Zunächst war dieser Eintopf-Einsatz noch freiwillig, ab 1936 jedoch Pflicht. Die Differenz zwischen einem Sonntagsessen mit Sonntagsbraten zu einem Eintopfgericht sollte dem Winterhilfswerk gespendet werden und wurde „von den Blockleitern oder von Mitgliedern der Hitlerjugend mit der Sammelbüchse an der Haustür kassiert.“

Heines Empfehlung für den Wortgebrauch:
„Da das Wort im Gegensatz zu anderen NS-ausdrücken keine Verhüllungs- oder Vorbereitungsvokabel für Mord, Folter und Vernichtung ist, kann man es unbedenklich benutzen. Ohnehin darf es längst als entnazifiziert gelten. Sogar Nazis denken vermutlich beim Eintopf nicht mehr an Hitler – jedenfalls nicht mehr als bei jedem anderen Essen.

Dem Autor geht es nicht um eine „Fahndungsliste für irgendeine Sprachpolizei“, sondern um „die Grundlagen jeder angemessenen Ausdrucksweise: Senisbilität, kenntis der Stilebenen, Sinn für Angemessenheit und – ja – auch das Wissen um die Geschichte von Wörtern.“

Ein interessantes, ein wichtiges Buch mit vielen Überraschungen, dem ich viele LeserInnen wünsche.

Matthias Heine, Verbrannte Wörter, Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht. Dudenverlag Berlin 2019, 222 S., ISBN 978-3-411-74266-0

5 Gedanken zu „Matthias Heine, Verbrannte Wörter

  1. Oh, da werde ich meine Unart mit manchmal mehreren Ausrufezeichen sofort beenden!!
    Was für eine gute Entdeckung!
    Ich habe mehrere Bücher aus diesem Verlag, nämlich die Schreiblehrangebote von Ortheil, wie „Schreiben über mich selbst“ usw.
    Gruß von Sonja

  2. Warum kommt mir plötzlich das Wort Unart so verdächtig vor? Werde mir das Buch kaufen müssen, um nicht ahnungslos zu kommentieren. Ein Blick im Inhaltsverzeichnis beim Gottseibeiuns ergibt keine Unart. Dafür bin ich mit Sippenhaft nicht einverstanden, noch ein Grund, das Buch zu lesen: warum meint der Autor das? Wo doch der Begriff angeblich ( http://www.untrans.eu/deutsch/woerter/sippenhaft.html ) schon in der Bibel vorkommen soll? (Ezechiel 18,20, lese ich im Link auf meine eigene Seite – früher wusste ich mehr als heute). Hilft nichts, wer nicht liest, bleibt ignorant. Danke für den Tipp!

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