Dagny Juel, Flügel in Flammen

Dagny Juel, Flügel in Flammen

Die gesammelten Werke dieser nahezu unbekannten norwegischen Schriftstellerin, die als „Femme fatale“ galt und engen Kontakte zu Strindberg und Munch hatte, sind nun in deutscher Sprache erschienen, übersetzt von Lars Brandt, der die Ausgabe mit einem Essay über das kurze, schillernde Leben Dagny Juels ergänzt, die 1867 in Kongsvinger geboren und mit nur 34 Jahren in Tiflis ermordet worden ist.

Gesammelte Werke hört sich nach Umfang an. Dagny Juels Werke – Prosatexte, Gedichte und kurze Dramen wie Kammerspiele – machen in dieser Ausgabe gerade mal 95 Seiten aus, aber 95 Seiten, die es in sich haben:

Die Erzählung „Rediviva“ beginnt so:

„Ich will die wundersame Geschichte meines Lebens erzählen. Vielleicht werden nicht alle sie so wundersam finden – vielleicht ist auch noch anderen dasselbe widerfahren, aber davon habe ich nie gehört, und darum glaube ich, daß ich die einzige bin, die auf dieses entsetzlich tragische, mystische Schicksal zu starren hat.
Zuerst ein unendliches Lebensglück.
Ich sah ihn und wußte in selben Augenblick, daß ich ihn besitzen müßte und daß dies meines Lebens großer, tiefer Inhalt sein sollte. Beide wußten wir, daß wir zusammenleben müßten, sollte es sich lohnen zu leben.
Und so wurde ich sein, er wurde mein, und sie, die zwischen uns stand – brachten wir um.“

Dem gemeinsamen Glück scheint also nichts im Wege zu stehen:

„Und dann – dann kam jene große, schwarze Nacht, als ich erwachte und sah, und gelähmt vor Angst sah – sie auf der Kante meines Bettes sitzen. … nun wollte sie ihren Haß befriedigen, den wir mit ihr tot geglaubt hatten.“

Ihre Erzählungen, Gedichte und Dramen „handeln von den moralfernen geheimnisvollen Kräften des Unterbewußtseins, … durchgängig sind es Dreieckskonstellationen von durch die furchtbare Macht der Liebe aneinander geknüpften Menschen. Wer die Stücke in diesem Buch liest, bekommt es mit Frauen zu tun, die nicht idealisiert sind, von keiner Moral getragen, sondern getrieben von ihrer Leidenschaft“ (Lars Brandt in seinem Essay). Die Frauen leben nicht in Ibsens „Puppenheim“.

Gleiches gilt auch für die Männer, mit denen es die Frauen zu tun haben. Liebe bedeutet eher, jemanden für sich allein besitzen zu wollen, stets gepaart mit der Angst, diesen Besitz verlieren zu können, von ihr besessen zu sein, Liebe als Lebensinhalt, ohne die es keinen Sinn macht weiterzuleben.

Die Bewertung dieser Liebe, dieser Leidenschaften werden dem Leser überlassen. Juel beschreibt nur in knapper, dennoch poetischer Sprache die Auswirkungen:

„Ach, die Blumen seiner Liebe waren zu üppig um sie herum gewachsen, der Duft hatte ihr das Atmen schwer gemacht, die Blumenranken hatten sich um ihr Leben geschlungen, bis sie sich an Händen und Füßen gefesselt fühlte.
In seinen Augen lagen stets Tausende Fragen: Liebst du mich? Liebst du mich jetzt? Liebst du mich so … Sie hatte sich wie ein Schuldner gefühlt, der seine Schuld nicht begleichen kann. Sie hatte sich erniedrigt gefühlt, beschämt durch die große, unergründliche Leidenschaft, die selbst zu empfinden ihr die Gabe fehlte,“

Liebe bzw. die damit scheinbar unumgänglich verbundene Leidenschaft, lässt Menschen nicht erblühen – um in der Metapher zu bleiben – sondern eher blass werden und verblühen. Sie kettet Menschen unsäglich und unentrinnbar aneinander.

Als Schriftstellerin ist Dagny Juel so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten. Sie hat sich eher darum bemüht, anderen Schriftstellern bei der Veröffentlichung ihrer Texte zu helfen, indem sie diese übersetzte und sich um Kontakte bemühte.

Lars Brandt beschreibt in seinem Essay sehr ausführlich, sich manchmal in einigen Aspekten auch wiederholend, das zwiespältige Leben dieser zur damaligen Zeit so ungewöhnlichen, in sich widersprüchlichen Frau, die allein durch ihr Dasein, Menschen für sich einnehmen konnte:

„Dagny Juel verstand anscheinend dafür zu sorgen, daß ihr Gegenüber sich in der Begegnung selbst zum neuen Erlebnis und zum Faszinosum wurde – so wie Stars es eben vermögen. Und das war sie offenbar, ein Star ihrer Zeit. Eine Persönlichkeit, die Träume, Tendenzen und Stilvorstellungen, die in der Luft liegen, aufnimmt, wie ein Brennglas bündelt und ins Zentrum des Gegenübers lenkt.“

Eine offensichtlich spannende Frau, die vielen als oft unwillkommener Katalysator diente.

Dagny Juel, Flügel in Flammen. Gesammelte Werke. A.d. Norwegische und mit einem Essay von Lars Brandt, Weidle Verlag, Bonn 2019, 171 S., ISBN 978-3-938803-91-2

2 Gedanken zu „Dagny Juel, Flügel in Flammen

  1. Eine aussergewöhnliche, wilde und kompromisslose Frau muss das gewesen sein.
    Danke für die Besprechung. Ich hatte noch nie etwas gehört von ihr.
    Lieben Gruss,
    Brigitte

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