Joachim Schnerf, Wir waren eine gute Erfindung

Joachim Schnerf, Wir waren eine gute Erfindung

Mir gefällt der Titel des Originals „Cette nuit“ besser, also heute abend. Denn es geht in diesem kleinen, intensiven, leisen Roman um die bevorstehende Nacht des jüdischen Sederabends, der jährliche Pessachfest einleitet, stets mit der Frage:

„Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten, von der vorherigen und den kommenden, von den vergangenen Frühjahren und den bevorstehenden Osterfesten?“

So wird und soll alles wie immer sein. Und doch wird alles anders sein, denn Sarah, Salomons Frau, ist vor kurzem an Krebs gestorben. Sie wird fehlen. Allen. Vor allem aber Salomon, der mit ihr mehr als 50 Jahre verheiratet war, zwei Töchter groß gezogen, sich mit den Eigenarten ihrer Schwiegersöhnen arrangiert und die Enkelkinder liebevoll betreut hat.

„Man verlässt sich darauf, dass ich den Abend leite und zelebriere, als Oberhaupt der Familie, meiner einzigen Familie, nunmehr amputiert von meiner heiligen Sarah.“

Noch liegt Salomon in seinem Bett und versucht den „bevorstehenden Abend in allen Einzelheiten zu rekapitulieren, um noch ein bisschen was von meinen Töchtern, meinen Schwiegersöhnen und meinen Enkeln zu haben. Die früheren Nächte heraufbeschwören, mit Sarah, mit meiner vollzähligen Familie.“

Und so fließen in diesem in Frankreich spielenden Roman verschiedene Zeiten ineinander, Vorgriffe auf den bevorstehenden Abend vermischen sich immer wieder mit Erinnerungen an die zurückliegende gemeinsame Zeit als Paar, als Eltern, ihre stets wachsende Liebe, an Sarahs liebevolle warmherzige Art, an ihren Hass auf seinen KZ-Humor.

Salomons kann nicht einmal Sarah von seinen immer noch sehr präsenten Erfahrungen im KZ erzählen kann. Und so hört sie mit der Zeit auf zu fragen. Salomon verarbeitet das Erlebte in Form von grotesken, sarkastischen, von schwarzem Humor geprägten Witzen. So benennt er die Katzen seiner Kinder nach NS-Größen benennt:

„Mama, das sind Goebbels und Göring, sie sind Brüder. Und ihre Namen fangen gleich an! Goebbels gehört mir, und Göring Michelle.“ Sarah wurde kreidebleich und brüllte: „Salomon!“

Schweigen am Tisch, die die latent stets vorhandenen Spannungen in dieser Familie zum Vorschein bringen könnten, füllt Salomon immer wieder mit Witzen, wie diesem:

„Wisst ihr, was in Sobibor am Eingang der Gaskammern stand? ‚Achtung Stufe‘ “ … Ich erstickte vor Lachen … Sarah legt ihre Hand auf meine und tötete mich mit einem Wimpernschlag.“

Es ist unglaublich faszinierend, was Joachim Schnerf in seinem so kleinem Roman unterbringt. Er ist trotz allem ein „Loblied auf die Liebe, den Humor und das Überleben“ wie es passend auf dem Cover heißt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Schnerf dafür in Frankreich einige Preise bekommen hat.

Ein leicht zu lesender interessanter Roman mit Tiefgang und „Aufklärungspotential“, denn der nichtjüdische Leser kann sich ein Bild dieses traditionell gefeierten Pessachfestes machen. Sehr lesenswert.

Joachim Schnerf, Wir waren eine gute Erfindung, Roman, a.d. Franz. v. Nicola Denis, Antje Kunstmann Verlag, München 2019, 142 S., ISBN 978-3-95614-315-1

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