Peter Wawerzinek, Liebestölpel

Peter Wawerzinek, Liebestölpel

Nach „Rabenliebe“ und „Schluckspecht“ ist nun Peter Wawerzinaks dritter Roman in dem ihm eigenen Stil erschienen. Der Ich-Erzähler auch dieses Romans hat einen Teil seiner Kindheit und Jugend im Heim verbracht, im Kindergarten zunächst gemeinsam mit Mädchen, dann als Schulkind „in unterschiedlichen Räumen getrennt, nach Jungen und Mädchen“. Seine erste „Liebe“ ist Lucretia, der er auf seinem Kinderdreirad hinterherfährt. Mit ihr fühlt er sich verbunden wie „Brüderchen und Schwesterchen“, mit ihr kann er nach der räumlichen Trennung nur noch am Tag zusammensein.

„Es ist, als würde man uns auseinanderschneiden. Plötzlich sollten wir bestimmte Zeiten voneinander existieren. Plötzlich duschen Mädchen und Jungen getrennt. Plötzlich sitzen wir beim Essen an getrennten Tischen. Komm zu mir und setze dich nieder, singen meine Blicke, schaue ich zu Lucretia herüber, die mich nicht zu sehen scheint, plappert und absichtlich wegschaut. Wir kosen Hand in Hand. Leg an mein Herz dein Köpfchen, und fürchte dich nicht zu sehr; vertraust du dich doch sorglos täglich dem wilden Meer.“

Schon zu Beginn des Romans wird deutlich, dass seine Liebe zu Lucretia ziemlich einseitig ist. Er „bleibt der ewige kleine Junge auf dem Kinderdreirad“, der nicht von ihr loskommt, obwohl er unsäglich unter ihrer Ignoranz und den Abweisungen leidet, seine Gefühle aber nicht direkt, sondern immer nur in Form von Versen, Liedern, Gedichten, Redensarten zum Ausdruck bringen kann. Dem Leser obliegt es also, über diese poetische Art die jeweiligen Gefühle des Ich-Erzählers zu erschließen. Spätestens, als Lucretia mit einem Fleischergesellen anbandelt, müsste dem Ich-Erzähler klar sein, dass er bei Lucretia keine Chancen hat.

Aber auch Lucretia scheint eine tiefere Beziehung oder Bindung zu ihm zu haben, denn immer wieder taucht sie im Leben des Ich-Erzählers auf, der sich ihr zuwendet, egal, ob er nun gerade in einer Beziehung lebt, verheiratet ist oder allein lebt.

Der Ziehgroßvater, bei dem er als Jugendlicher aufwächst, zu dem er in seinen zahlreichen Krisen immer wieder Zuflucht nimmt und sich in seinem Jugendzimmer wie auf einer einsamen Insel zurückzieht, charakterisiert die Beziehung zu Lucretia so:

„Du wirst sie nicht los, wirst von zweien immer nur die andere verlieren und mit Lucretia nichts hinzugewinnen … . Du meinst eine neue Musik gehört zu haben, so schön spielt die Liebe auf, und dann möchtest du nur noch die eine, neue Musik hören, die du für dich allein entdeckt hast, und glaubst mit ihr aus den Umständen ausbrechen zu können. Und dann kommt Lucretia wie ein Wirbelsturm und macht alles kaputt. … Die Überallesfrau, für die du schwärmst, Junge, es gibt sie nicht, deine Gefühle für sie sind reines Blendwerk. Du wirst mit ihr im Schlepp keine Liebe finden. … Du hast dir einen tödlichen Virus eingefangen, sagt mein Opa. … Du hast keine Wahl, du musst nach ihrem Willen zucken. Sie entscheidet über Kopf und Zahl. Sie stößt dich ins Bodenlose. Du bist dagegen machtlos. Kein Doktor, keine Kur kann dir helfen. Du wirst dich immer wieder auf Pfiff von den Verhältnissen lösen und dich zu ihr hinbegeben, weil du wie ein dressierter Hund reagierst.“

Der Roman verdeutlicht, welche tragischen Auswirkungen fehlende (Eltern-) Liebe im Leben eines Menschen haben kann, der über ein nur gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl besitzt und die „Erlösung“ in der Liebe zu einem anderen Menschen sucht, ohne sich aus seiner emotionalen Abhängigkeit lösen zu können. Er bleibt sein Leben lang unfrei.

Peter Wawerzinek, Liebestölpel, Galiani Verlag, Berlin 2019, 299 S., ISBN 978-3-86971-152-2

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