Karl Ove Knausgård, So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche

Karl Ove Knausgård, So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche

Die Bilder Edvard Munchs haben Karl Ove Knausgård schon als Gymnasiast begeistert. Er erinnert sich:

„Munchs Bilder besaßen eine so mächtige Ausstrahlung, dass sie alle anderen in den Schatten stellten. Als befänden sie sich auf einem ganz anderen, höheren Niveau. Es stand für mich völlig außer Frage, dass sie als Kunst besser waren, obgleich ich niemals darüber nachgedacht hatte, was Kunst oder was Qualität war. Ich wusste es einfach. Das Ereignis war so einschneidend wie bei meiner ersten Lektüre von Dostojewskij, ich hatte das gleiche Gefühl von akuter Relevanz.
Hatten die vorherigen Bilder sich geöffnet und meinen Blick angenommen, war es bei Munchs Bildern umgekehrt, es war als kämen sie mir entgegen, als wären sie aktiv und der Blick passiv. Eine solche Intensität, dass ein Bild einen Raum in Besitz nehmen und ihn prägen kann, hatte ich nie zuvor erlebt. Sie vibrierten ja!


Diese Begegnung war so prägend, dass die Begeisterung Knausgårds bis heute anhält, ebenso sein sehr subjektiver Zugang zu den Werken Edvard Munchs. Dieser wird ergänzt durch Knausgårds Reflexionen darüber, was Kunst generell und Malerei im Besonderen ist, und seine Gedanken, die er durch die Rezeption von Büchern entwickelt hat, deren Verfasser sich mit den eher technischen Aspekten und Qualitätsmerkmalen der Bilder Edvard Munchs beschäftigt haben.

Knausgård beschäftigt sich zunächst mit dem Menschen Munch, den schicksalhaften Begebenheiten seines Lebens und den Konsequenzen, die der Maler daraus gezogen und offensichtlich sehr zurückgezogen gelebt hat, geprägt durch große Verlustängste und gleichzeitiger Sehnsucht nach Nähe zu Menschen, insbesondere auch Frauen. Die auszuleben für ihn zeitlebens fast unmöglich war.

Knausgård stellt dar, mit welchen malerischen Mitteln Munch versucht hat, seine Themen von Verlust, Einsamkeit, Angst, Sehnsucht etc. umzusetzen, wie er sich mit traditionellen Maltechniken auseinandersetzen, sie überwinden und einen eigenen Stil und Umgang mit seinen Bildern finden musste und gefunden hat.

Qualitätsmerkmale der Werke Munchs interessieren Knausgård in seiner Betrachtung dabei nicht so sehr, gleichwohl setzt er sich damit über die Lektüre verschiedener Autoren, die sich ebenfalls mit Munch beschäftigt haben, auseinander, trifft sie teilweise im Zusammenhang mit der Kuratierung seiner Munchausstellung und spricht mit ihnen über mögliche Auswahlkriterien für die Bilder.

Ein Vortrag, den Knausgård zum 150. Geburtstag Edvard Munchs im Kulturzentrum von Elverum gehalten hat, war offensichtlich der Anlass des Munch-Museums in Oslo, den Schriftsteller zu fragen, ob er „Lust hätte, für sie eine Ausstellung zu kuratieren.
Obwohl ich noch nie etwas in der Art getan hatte, nicht einmal etwas ansatzweise in diese Richtung Gehendes, und obwohl ich keine Ahnung hatte, was es genau bedeutete, sagte ich ohne zu zögern zu. Es war ein eindeutiger Fall von Hybris, denn meine einzige Qualifikation bestand darin, dass ich mir gern Gemälde ansah und häufig in Kunstbildbänden blätterte. Die Hybris hing natürlich mit meinem fehlenden Wissen zusammen, es ist immer leicht, etwas zuzusagen, dessen Ausmaß man nicht begreift. Dummheit kann auch befreiend sein.“

Diesen Band kann man als Knausgård Weg ansehen, sich Edvard Munch als Mensch und Maler zu nähern, ihn und die Wirkung seiner Bilder zu verstehen und zu begreifen und darüber hinaus eine sinnvolle Konzeption für eine Munch Ausstellung zu finden, die nicht den „üblichen Munch“ zeigt, den alle Welt schon zu kennen glaubt, ohne seine bekannten, berühmten Bilder je gesehen zu haben, weil sie inzwischen zum Menscheitsgedächtnis gehören.

Die Munch-Ausstellung ist in Düsseldorf in der Kunstsammlung NRW noch bis zum 1.3.2020 zu sehen. Eröffnet wurde sie in Deutschland im letzten Jahr im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse, die Norwegen zum Ehrengast hatte.

Das Buch ist eine interessante, aber keineswegs einfache Lektüre. Knausgård setzt sich u.a. intensiv und differenziert mit den hermeutischen Aspekten der Kunstrezeption und -produktion im allgemeinen und der Malerei im besonderen auseinander. Kein einfaches Thema, erkennbar auch an dem oft sehr langen, sehr verschachtelten Satzbau Knausgårds. Ohne Konzentration geht da gar nichts.

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Seitenverweise auf Abbildungen der im Buch abgedruckten Werke eingefügt worden wären, auf die sich Knausgård in seinen Beschreibungen bezieht. Das hätte – zumindest meine – Verständnismöglichkeit an der Stelle vereinfacht.

Jetzt bin ich auf die Ausstellung gespannt, denn das Buch hat mich echt neugierig gemacht.

Karl Ove Knausgård, So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche, Edvard Munch und seine Bilder, a.d. Norwegischen v. Paul Berf, Luchterhand Verlag, München 2019, 285 S., ISBN 978-3-630-87589-7

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