Rosa Liksom, Die Frau des Oberst

Rosa Liksom, Die Frau des Oberst

Der Roman ist der Rückblick einer gealterten Frau, die in der Einsamkeit eines kleinen Dorfes im Norden Finnlands auf ihr Leben schaut.

„Am Morgen fiel Schneeregen. Ich rappelte mich auf und schlurfte vor den Spiegelschrank. Von dort sah mich ein Ungeheuer an, das glasige Augen vom Alkohol, einen fetten Bauch und einen abgewirtschafteten Körper hatte. Ich dachte: Bin ich das? Wo ist das schöne, blühende Ich, das ich mal war. … Ich schämte mich nicht für mich. Ich trage den alten absterbenden Frauenkörper mit Stolz. Rosten ist das Gesetz des Lebens, das der Kreislauf des Lebens und die Natur der Kette des Menschenwesens gewähren. Der Oberst hasste das Altern, weil er Angst davor hatte, dass im eines Tages die Lust abhandenkäme und sich sein Schwanz nicht mehr aufrichtete.“

Sie teilt ihr Leben ein, in das Leben vor, mit und nach dem Leben mit dem Oberst, ihrem Mann, der achtundzwanzig Jahre älter war als sie. Verbunden haben sie die Liebe zu Adolf Hitler und die Ideale des Nationalsozialismus.
Sie wuchs in einer Familie auf, in der Werte vermittelt wurden, die mit denen des Nationalsozialismus große Ähnlichkeiten hatten, sie war Mitglied der Wölflinge, bei denen sie lernte, „was ein anständiger Mensch ist: lässig, hilfsbereit, wohlerzogen, gehorsam, pflichtbewusst, arbeitsam, mutig und patriotisch.“ Und sie lernt vor allem, „dass eine Frau fleißig bis zur Selbstaufopferung und gehorsam sein und sich gründlich auf ihr künftiges Los als Soldatenmutter vorbereiten muss. Dass zum Mannsein ein Stück Tyrannei gehört und dass der Mann der Frau moralisch überlegen sein soll, dass die Liebe ein Kampf ist, der aufseiten des Mannes mit Hass anfängt und mit dem moralischen Sieg des Mannes aufhört und dass die Frau lernen muss, das zu akzeptieren und den Mann trotzdem in aller Unschuld und Reinheit zu lieben.“

Theoretisch war sie also gut vorbereitet auf die Ehe mit dem Oberst, vor dem sie viele gewarnt haben. Er war als jähzornig und gewalttätig gegenüber Frauen bekannt. Doch sie heiratet ihn, ist stolz auf den damit verbundenen Titel „Frau des Oberst“ und genießt die Privilegien, die die Heirat mit dem Oberst mit sich bringt: Luxus, Umgang in höheren Kreisen, Anerkennung als Frau des Oberst …
Und sie erträgt die Unerträglichkeiten, die unberechenbaren Launen und Grausamkeiten des Oberst, in einer auch für LeserInnen nahezu unerträglichen Abhängigkeit und Unterwerfung. Sie hat das Gefühl, das Lebe klebe sie an ihn fest, bis sie dann nach Jahren registriert:

„Ich zerfiel in Stücke, und dieser Zusammenbruch erschreckte mich selbst so sehr, dass von da an meine langsame und schwere Auferstehung begann.“

Diese mühsame Auferstehung gelingt ihr als Lehrerin in einer kleinen Dorfschule, weitab von ihrem bisherigen Leben. Dennoch eilt ihr der Ruf als „Nazischlampe“, „Verteilerdose der großen SS-Bonzen“, als „Hure der Vornehmen“ voraus. Sie lebt sehr zurückgezogen und trifft auf ihren Schüler Tuomas, den die Aussage der Dorfbewohner neugierig auf die neue Lehrerin gemacht hat. Kurze Zeit später beginnen sie eine Affäre, in der sie erlebt, wie sie die Schwere ihres bisherigen Lebens hinter sich lassen kann, weil sie in Gegenwart von Tuomas einfach nur sein kann. Die beiden heiraten später und sind glücklich miteinander. Dennoch lassen sie sich scheiden, als Tuomas Wunsch nach eigenen Kindern zu groß wird.

Der Roman erzählt in direkter, mit vulgären Begriffen nicht sparsamer Sprache die brutale Lebenswirklichkeit einer in Abhängigkeit zu ihrem Mann lebenden Frau, die lange braucht, sich zu befreien, weil schon ihre Erziehung als kleines Mädchen sie auf diese Ideologie vorbereitet, in der Pflicht und Gehorsam die Eigenständigkeit, Individualität und Freiheit einer (Ehe-) Frau nahezu unmöglich machen.

Rosa Liksom ist ein Roman gelungen, der lange nachwirkt, kennen doch ältere LeserInnen mit Sicherheit noch ähnliche Erziehungskonzepte und Vorstellungen, denn mit dem 2.Weltkrieg war die Ideologie der sogenannten „schwarzen Pädagogik“ ja nicht einfach verschwunden. Nicht nur die Protagonistin blickt zurück auf ihr Leben.

Rosa Liksom, Die Frau des Oberst, a.d. Finnischen v. Stefan Moser, Penguin Verlag, München 2020, 217 S., ISBN 978-3328-60096-1

2 Gedanken zu „Rosa Liksom, Die Frau des Oberst

  1. Ach, und endlich weiß ich, wieso diese alte Therapeutin mir erklärte, dass es jetzt die oberste Priorität sei für mich, den Ehemann esstechnisch und auch sonst zu versorgen!
    Noch meine Mutter brachte mir bei,dass man Männer wie Götter zu behandeln habe. Das tat sie auch,am Ende blieb ihr ein gebrochenes Herz.
    Besten Dank für diese Buchbesprechung, und intern noch für die Munchkarte, liebe Monika!
    Gruß von Sonja

  2. Ja, die Ausrichtung der Frau auf das Wohlergehen des Mannes und dann später auch der Kinder – bis zur Selbstaufopferung – war in den 60igern allgegenwärtig.
    Gedanken über ein eigenständiges Leben wurden im Keim erstickt.
    Liebe Grüße

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert