Robert Seethaler, Der letzte Satz

Robert Seethaler, Der letzte Satz

Und wieder ist es ein schmaler Band über ein ganzes Leben – das Gustav Mahlers – auch wenn die äußere Handlung nur von Mahlers letzen Schiffsreise von Amerika nach Europa handelt. Gustav Mahler ist bereits von seiner Krankheit gezeichnet, schwach und unterstützungsbedürftig:

„Den Kopf gesenkt, den Körper in eine warme Wolldecke gewickelt, saß Gustav Mahler auf dem eigens für ihn abgetrennten Teil des Sonnendecks der Amerika und wartete auf den Schiffsjungen. … Mahler mochte den Wind. Er hatte den Eindruck, er wehe ihm dumme Gedanken aus dem Kopf.“

Und aus diesen „dummen Gedanken“ besteht dann auch dieser leise, stille Roman Robert Seethalers. Zahlreiche Rückblenden ergeben ein mosaikartiges Porträt dieses Musikers als Musiker, aber auch als junger Mann, als Ehemann und als Vater, auch eines verstorbenen Kindes und eines immer unter seinen Schmerzen leidenden Menschen:

„Eines Nachmittags war er von den Dielen hochgesprungen, auf denen er zwei Stunden lang still gelegen und den pulsierenden, in allen Farben leuchtenden Schmerz in seinem Kopf beobachtet hatte. Einige Sekunden stand er schwankend im Raum, ehr er zum Schreibtisch taumelte, eines der von ihm eigenhändig mit Linien bemalten Notenblätter aus der Schule riss und hastig zu kritzeln begann.“

Seine Vorstellungen von Musik, vom Dirigieren fanden auch nicht immer sofort Anklang. Zahlreiche Widerstände hatte Mahler zu überwinden:

„Er hatte es oft erlebt: Verzweiflung, Verweigerung, Zusammenbruch, letztendlich aber Durchbruch und Auflösung. Zumindest solange die Wut und die Kraft reichten. Wenn nicht, bleib es bei der Verzweiflung.“

Natürlich denkt er auch über das sein bevorstehendes Sterben nach:
„Es muss schrecklich sein, zu verdursten, dachte er. Aber jedes Sterben ist schrecklich. Wie hättest du es gerne?“

Der Roman endet mit der fünf Monate alten Zeitungsnachricht über Mahlers Begräbnis am 22. Mai 1911, die sich der Schiffsjunge von einem Wirt vorlesen lässt, da er nicht lesen kann. Er hat Mahler, den er immer Direktor genannt hat, auf einem Bild zu dem Artikel erkannt. Der Kontakt zwischen Mahler und dem Schiffsjungen hat eine tiefe Sehnsucht nach der Musik Mahlers in ihm eingepflanzt.

„Er dachte an den Mann auf dem Sonnendeck. Er hatte ihn fast schon vergessen, und jetzt war er tot. Er hätte gern seine Musik gehört. Sicher hatte sie nichts mit der Musik zu tun, die er kannte, mit den kreischenden Geigen in den Hafenkneipen oder den verquetschten Tönen aus dem Akkordeon des Maschinisten, mit dem er zweimal die Ostsee überquert hatte. Die Musik des toten Mannes war etwas anderes. Er stellte sie sich als etwas Großes, Unberechenbares vor. Es ist ein Jammer, dachte er, dass sie nun für immer verloren ist.“

Gut, dass er sich da geirrt hat: Gustav Mahler lebt in seiner Musik weiter und ja, auch in diesem Roman von Robert Seethaler.

Robert Seethaler, Der letzte Satz, Roman, Hanser Verlag, Berlin 2020, 126 S., ISBN 978-3-446-26788-6

3 Gedanken zu „Robert Seethaler, Der letzte Satz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert