Edem Awumey, Nächtliche Erklärungen

Edem Awumey, Nächtliche Erklärungen

Der Weidle Verlag ist ein kleiner, ein besonderer Verlag mit Sitz in Bonn. Seine Schwerpunkte, Ziele sind es, Leser*innen Exilliteratur, die größtenteils in Vergessenheit geraten ist, wieder nahezubringen und mit fremdsprachiger Gegenwartsliteratur von Schriftstellern, die hierzulande nahezu unbekannt sind, vertraut zu machen. Alle Bücher erscheinen in „unreformierter Rechtschreibung, und daran wird sich nie etwas ändern.“

„Nächtliche Erklärungen“ gehört in die zweite Kategorie. Edem Awumey wurde 1975 in Lomé, Togo, geboren, lebt und arbeitet heute in Kanada. Dieser Roman ist sein vierter: „Für die Toten … und einige lebendige hellsichtige Narren.“ Sein Hinweis, dass „jede Ähnlichkeit zwischen diesem Roman und irgendeiner Realität äußerst interessant … und traurig“ wäre, lässt bereits aufhorchen und stellt sich im Nachhinein als ziemlich euphemistisch dar.

Um es vorweg zu nehmen. Der Roman ist keine leichte Kost. Ito Baraka ist todkrank und weiß, dass er in absehbarer Zeit sterben wird. Er hat kaum noch die Kraft, seine Aufzeichnungen in seinem Notizbuch festzuhalten.

„Er versucht die restliche Energie in seinen steifen Muskeln zu ermessen und fragt sich, welchem rettenden Gedanken er diesen flüchtigen Rest an Energie widmen soll.“
Zum Schluss kann er seine Gedanken nur noch seiner heroinsüchtigen Freundin Kimi Blue diktieren. Aber der Roman muss geschrieben werden: für ihn selbst, für die vielen anderen und für Koli, seinen Freund aus dem Lager.

Ito Baraka lebt als junger Mann in einem diktatorisch regierten Land, in dem alle, die sich nicht fügen, inhaftiert, gefoltert und danach meist getötet werden. Angst regiert das Land, in dem „das Denken uniform sein und den Direktiven der Partei folgen“ muss:

„Ich erinnere mich, wie wir mit steifem Hals alle in dieselbe Richtung blicken mußten, in die Richtung des Windes, und wie, nach langen Tagen unbeweglichen Stehens mit starken Gelenkschmerzen, plötzlich ein General aus der Versenkung auftauchte und uns den Kopf in die andere Richtung drehte, die Richtung der Leere. Und mein Vater wußte nicht, wie man aus der Zwickmühle zwischen Wind und Leere entkommen konnte.“

Ito gehört einer Gruppe von Studenten an, die Flugblätter mit Zitaten von Becketts „Endspiel“ „gegen diesen ungreifbaren Feind – wir nannten ihn das System – ins Feld ziehen.“ Für sie zunächst nur „harmlose“ Poesie.

Wie geht es deinen Augen?
Schlecht.
Wie geht es deinen Beinen?
Schlecht.
Aber du kannst laufen.

Unmöglich. Hier können wir nicht laufen.

ist eines ihrer Flugblätter.

Das System kann diese „Harmlosigkeit“ nicht nachvollziehen und schlägt mit aller Brutalität zurück. Ito landet in einem Lager, zunächst in Isolationshaft, später dann kommt er zu Koli, einen ehemaligen Lehrer, inzwischen „dienstältester“, blinder Gefangener, in eine Zelle. Der Beginn einer „wunderbaren Freundschaft“.
Koli kann nicht mehr lesen – er ist blind, weil man ihn gezwungen hat, stundenlang mit offenen Augen in die Sonne zu blicken – hat aber eine Menge an Büchern unter seiner Strohmatratze bunkern können. Ito wird zum abendlichen Vorleser: „Ich muß sagen, daß wir die Tage mit ihren Schikanen und Quälereien nur deshalb aushielten, weil wir abends auf einen Nabokov verabredet waren.“

Und Ito überlebt die Hölle. Das Schreiben ist für ihn danach der Versuch, „das aus dem Lager zurückgekehrte Gespenst ans Leben zu binden, ein Leben das mehr und mehr aus ihm floh, … Ich bin ein Mann der Schlupfwinkel und Höhlen, dem das Leben über den Kopf gewachsen ist und an dessen Fingern noch immer der prähistorische Traum von Freiheit klebt, …“

Ito muss nicht nur mit den posttraumatischen Störungen der Lagerhaft, sondern auch mit der Scham leben, unter der Folter seine damaligen Freunde verraten zu haben. Ihre massiven Veränderungen in ihrer Art zu leben, lastet er sich als seine Schuld an und reagiert darauf mit selbst auferlegter Isolation. Nur selten unternimmt er noch „Exkursionen in die Eingeweide der Hauptstadt“.

Der Roman ist ein Roman über das Leben Freiheitsdenkender in einer Diktatur, es schildert eine von Menschen für Menschen gemachte Hölle, aus der es kaum ein Entrinnen gibt, in der es -entgegen aller Erwartungen – doch auch Freundschaft, Verbundenheit und menschliche Schönheit gibt.

Es ist – kaum vorstellbar – ein zum Teil poetisch geschriebener Roman, dessen Autor allerdings auch keine Hemmungen hat, Scheiße in all ihren Ausformungen als Scheiße in allen sprachlichen Varianten zu benennen.

„Nächtliche Aufzeichnungen“ ist wichtiger Roman, einer, der unter die Haut geht, der aufrüttelt, nachdenklich macht, vor allem auf dem Hintergrund aktueller politischer Lagen, allüberall auf der Welt. Also lesenswert, wenn man dazu beitragen will, das Literatur immer noch wirkmächtig ist. Dazu bedarf es auch der Lerser*innen.

Edem Awumey, Nächtliche Erklärungen, Roman, a.d. Franz. v. Stefan Weidle, Weidle Verlag 2020, 207 S., ISBN 978-3-938803-97-4

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