Friedrich Ani, Der namenlose Tag

Friedrich Ani, Der namenlose Tag

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Jakob Franck ist der neue Ani-Kommissar, gerade pensioniert, ein „geschiedener und beziehungsloser Hausmann“, wie er sich selbst bezeichnet. Gesellschaft leisten ihm die „Gespenster seiner Vergangenheit“, Tote, mit denen er während seiner Dienstzeit als Mordermittler im Dezernat 11 zu tun hatte. Seine Hoffnung, sie ließen ihn nach der Pensionierung in Ruhe, erfüllt sich nicht.

„Den Toten war sein Status egal. Er hatte sich damals, beim Eintritt in den Gehobenen Dienst, für ihre Welt entschieden, und aus dieser Welt kehrt niemand unversehrt und traumlos zurück.“

An einen – auch für Jakob Franck persönlich – besonderen Fall wird er erinnert, als ihn Ludwig Winther Allerheiligen aufsucht und den Kommissar bittet, den offiziell als Selbstmord klassifizierten Tod seiner Tochter Esther noch einmal zu untersuchen. Er glaubt fest daran, dass seine Tochter ermordet worden ist.
„Meine Tochter hatte keine Schwermut im Herzen, sie war Opfer eines Mörders. Und den Mörder müssen sie endlich finden, Herr Franck, darum bitt ich sie auf Knien.“
Doch seitdem sind zwanzig (!!) Jahre vergangen.

Ob sich Jakob Franck in Ludwig Winther und seiner Einsamkeit wiederfindet, der behauptet: „Egal ob wir ein Zimmer haben oder drei oder vier, wir hausen im Alleinsein, und das kann nicht gut sein.“ oder ob er sich an die Nacht erinnert, in der er Frau Winther die Todesnachricht überbrachte, der Kommissar beginnt den Fall zu bearbeiten. Und ist mitten in seinen eigenen Erinnerungen an diesen Fall, der für ihn mit der Besonderheit der Nachrichtenüberbringung begann.

Er der, zum „ultimativen Ansprechpartner“ geworden war, wenn Todesnachrichten zu überbringen waren, hatte stets nur „einen einzigen fertigen Satz mit, immer denselben; jedes weitere Wort entstand aus der Situation und im Angesicht eines fremden Menschen, der die Welt, wie er sie kannte, von einer Sekunde zur nächsten für immer verlassen musste.“
Doch der „Routinier“ in diesen Situationen „verpasste den Moment, an dem er sich hätte von ihr lösen und sie ins Wohnzimmer hätte führen sollen, sorgsam darauf bedacht, sie auf einen Stuhl zu setzen, bevor er das Unfassbare so wortetauglich wie möglich zu gestalten versuchte. … Um zwanzig Uhr dreißig an jenem vierzehnten Februar hatte Franck die Wohnung der Familie Winther betreten, und um halb vier am nächsten Morgen hielt er Doris Winther immer noch in den Armen.“

Es ist ein ruhiger (Kriminal-)Roman, in dem es eher um die Menschen im Umfeld der Toten geht, um ihre Gedanken, Gefühle, Visionen, aber auch um ihre Traumata, die ihr Handeln, ihren Umgang mit anderen bestimmen. Jakob Franck nähert sich den Personen und ihren Untiefen auf seine besondere Art, die er „Gedankenfühligkeit“ nennt. Seine eigene Person spart er dabei nicht aus. So ist „Der namenlose Tag“ wieder ein typischer Ani-Roman, und dennoch ist Jakob Franck ein anderer als die früheren Kommissare. Einsam und so anders als das Gros seiner Kollegen allerdings auch. Er ist ein Typ, an den man sich erst gewöhnen muss, dem ich dann als Leser aber gern bis zum überraschenden Ende durch verzwickte Ermittlungen gefolgt bin.

Friedrich Ani, Der namenlose Tag, Ein Fall für Jakob Franck, Roman, Suhrkamp Verlag Berlin 2015, 299 S., ISBN 978-3-518-42487-2

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