Luca d‘ Andrea, Der Tod so kalt

Luca d‘ Andrea, Der Tod so kalt

Schon länger habe ich keinen (guten) Krimi mehr gelesen. Dieses Erstlingswerk von Luca d’Andrea, das in seiner Heimatregion Südtirol angesiedelt ist, hat mir ausnehmend gut gefallen. Messlatte ist bei mir, wie schnell ich einen solchen Krimi lese bzw. wie kurz die Lesepausen sind. Und die waren kurz, nur vom Alltag mit seinen Notwendigkeiten diktiert!

„Im Leben wie in der Kunst zählt nur eines: die Wahrheit. Um zur Wahrheit über Evi, Kurt und Markus und die Nacht des 28. April 1985 zu kommen, müsst ihr alles über mich wissen. Denn es gibt nicht nur 1985 und das Massaker am Bletterbach, sondern auch 2014. Es gibt nicht nur Evi, Kurt und Markus, sondern auch Salinger, Annelise und Clara.
Alles hängt zusammen.“

Wie alles und wie kompliziert alles zusammenhängt, entschlüsselt sich im Verlauf dieses Krimis, der mit einem Unglück 2014 beginnt. Salinger, Drehbuchautor und Ich-Erzähler des Krimis, Ehemann von Anneliese und Vater von Clara, springt am 14. September für seinen kranken Kameramann Mike ein. Er fliegt mit dem Helikopter der Bergwacht und der Crew auf einen Gletscher, um eine in eine Gletscherspalte gefangene Person zu bergen. Als Einziger kommt er nicht ums Leben, als der Helikopter von einer Lawine erfasst wird und abstürzt.

Er hat in der Gletscherspalte Aufnahmen machen wollen und sich abseilen lassen. Da nicht drei Personen von der Winde in den Helikopter hochgezogen werden können, bleibt er – zum seinem Glück – in der Spalte und kann nach einiger Zeit geborgen werden. Doch seitdem leidet er heftigst unter posttraumatischen Belastungsstörungen, weigert sich aber zu einem Therapeuten zu gehen und die vom Arzt verschriebenen Medikamente zu nehmen. Mit heftigen Folgen, unter denen auch seine kleine Familie zu leiden hat.

Um nicht gänzlich verrückt zu werden – wie er meint – beginnt er, trotz des Versprechens seiner Frau gegenüber, sich ein Jahr Auszeit zu gönnen, mit Recherchen über das bisher unaufgeklärte „Bletterbach-Massaker“, bei dem Evi, Kurt und Markus bestialisch ermordet worden sind. Salinger hat zufällig davon nach einem Besuch mit seiner Tochter in der Bletterbach-Schlucht davon erfahren:

„Es waren nur ein paar Satzfetzen, doch manchmal braucht es nicht viel – und schon hat das Schicksal dir die Schlinge um den Hals gelegt.“ Und da er gut darin ist, sich „selbst in die Tasche zu lügen“, beginnt er mit seinen komplizierten Nachforschungen. „Neugier nährt sich von weißen Flecken auf der Karte.“

Kompliziert sind sie, weil er sich selbst und Anneliese sowie seinen Schwiegervater austricksen muss, die von seiner Arbeit nichts erfahren sollen, schwierig auch, da im dem Südtiroler Dorf Siebenhoch, jeder von jedem weiß, was er treibt, und Salinger zudem als Außenstehender nur schwer Zugang zu Einheimischen bekommt. Sie blocken ihn und seine Bemühungen sofort ab, sobald sie ihn durchschauen. Mehr als einmal bezieht er Prügel. So regeln Männer im Dorf ihre Probleme.

Doch natürlich lässt Salinger nicht los, letztendlich kann er das tragische Massaker aufklären, nachdem nahezu das halbe Dorf als Täter infrage gekommen ist.

Der Krimi ist nicht nur wegen seiner Handlung um die Aufklärung des Massakers interessant. Man erhält als Leser zudem auch Einblicke in diese Dorfgemeinschaft mit ihren kulturellen Festen, Riten, ihren Moralvorstellungen, Lebensgrundlagen und der sozialen Kontrolle sowie in die Welt der Filmindustrie, der Salinger – aufgrund seiner Arbeit als Dokumentarschriftsteller – notgedrungen angehört.

Diese Einblicke werden geschickt in die eigentliche Handlung eingewoben, meist als retardierende Momente – aber selten langweilig, sondern eher als spannungssteigernde Elemente. Gleichwohl hätten sie manchmal etwas weniger ausführlich erzählt daherkommen können.

Luca d’Andrea, Der Tod so kalt, DVA, München 2016, 469 S., ISBN 978-3-421-04759-5

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