Ida Hegazi Høyer, Trost

Ida Hegazi Høyer, Trost

Protagonistin dieses modernen, unkonventionellen Romans ist eine namenlose Frau, die sich auf ihren beruflich bedingten Reisen nach Lissabon, Berlin und Brüssel in jeder Stadt auf eine sehr intensive und dennoch unverbindliche Beziehung einlässt. Denn schon zu Beginn jeder Beziehung ist das Ende absehbar.

„Das Reisen ist ein Teil der Arbeit. Die Arbeit erfordert eine Abfolge von unverbindlichen Aufenthalten, wurzellose Häuslichkeiten. Beziehungen, aber nie Erwartungen. … Sie mag es, wenn alles wie ein leeres Blatt Papier vor ihr liegt. “ Sie lebt offensichtlich nach dem Motto: „Alles, was merkwürdig ist, verdient eine Chance. Fremde soll man hereinlassen.“

In Lissabon nimmt der Fremde von untadeligem Äußeren, bei dem alles einstudiert, trainiert, perfektioniert ist, sie mit in seine weitläufige, großzügige Wohnung. Da er Wert darauf legt, dass die Dinge laufen wie geplant, ist es an ihr, sich seiner Regie anzupassen, dabei gefällt es ihr gar nicht, geführt, dirigiert zu werden. Dennoch lässt sie sich auf ihn ein, der selbst in den intimsten Situationen das Denken nicht lassen kann. Als LeserIn fragt man sich mit ihr, was nun als nächstes kommen wird, eine leicht bedrohliche Stimmung macht sich breit.

In Berlin ist es Kimmy, eine junge Frau, die in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, die sie kennenlernt. Sie nimmt deren Angebot an, zu ihr zu ziehen, solange sie will, und lebt mit ihr in Kimmys kleiner, enger Wohnung.

„Obwohl sie sich nur über Dinge unterhalten haben, die mit der Arbeit zu tun haben, haben sie genug übereinander erfahren, um zu wissen, dass keine von ihnen jemanden hat, der auf sie wartet. Alleinsein ist etwas, das man ausatmet. Es leuchtet wie jede andere Art von Licht, dunkel, ununterbrochen.“

In Gesprächen nähern sie sich an, erzählt Kimmy ihr, was sie Schreckliches in ihrem Leben erlebt hat. Mit ihr lernt sie eine besondere Art der Fürsorge kennen. Ihr Lächeln ist eines, an das sie sich anlehnen kann. Nach anfänglichem Zögern – hier ist es die namenlose Frau, von Kimmy liebevoll Tiger genannt, diejenige, der das Denken, ihre Fragen im Weg stehen – beginnen die beiden eine Affäre.

„Das Einzige, was man braucht, um jemanden zu berühren, ist, dass man selbst schon einmal berührt worden ist. Deine Hand, die gehalten wurde, trägt alle anderen Hände in sich. … Ist man fremd genug, wird man überall Nähe finden, wird man sich Wärme nehmen, mit Wärme, vorbei an jedem Zweifel, wird man weitergeben, was einem zuteil wurde. Schlimmer ist es nicht.“

In Brüssel ist es ein jüngerer Mann, gepflegt, adrett, gut angezogen, freundlich – beinahe schmerzhaft schön, der sie anspricht. Und da sie „weder ein Buch, noch ein Telefon dabei hat, wohinter sie sich verstecken konnte, erlaubt sie ihm, sich neben sie zu setzen. Er will gleich am ersten Abend mit zu ihr in die Wohnung. Doch sie lehnt ab, ist sie doch gerade erst angekommen und hat sich noch nicht einmal die Wohnung richtig angesehen. Sie gibt ihm ihre Nummer und sie verabreden sich für den nächsten Tag.
Als sie dabei ist einzuschlafen, klingelt das Telefon. Sie hat das Handy auf den Nachttisch gelegt, wie es alle Einsamen tun – alle, die Angst davor haben, eine Nachricht zu verpassen, alle, die mit der digitalen Nähe vorlieb nehmen müssen. Eine unbekannte Nummer ruft an. Die unbekannte Nummer ist seine.“

Nahezu unbekannt wird er ihr auch bleiben. Fragen nach seiner Arbeit beantwortet er ausweichend mit „Handel und Dienstleistungen“. Sie bekommt auch seine Nummer nicht, merkt aber, dass alle ihn im Viertel kennen, er überall mit kleinen Geschenken bedacht wird, eine Gunst, die auch ihr als seine Begleiterin zuteil wird. Sie nimmt dankend, lächelnd an.

„In den Tagen, die folgen, wird sie von einer vorbehaltlosen Leichtigkeit erfasst. … und in der Leichtigkeit begreift sie, dass es genau solche Tage sind, nach denen sie sich gesehnt hat. Tage, an denen sie die Einsamkeit in der Gewissheit genießt, dass am Abend jemand vorbeikommen wird. Abende, an denen man von der Anwesenheit des anderen verspeist wird, aber weiß, dass man morgen wieder frei atmen wird.“

Diese Tage dauern, bis er dann nicht mehr kommt, nur eine Textnachricht hinterlassend: Du hörst von mir.

Sie ruft ihn nicht an. „Das hat sie so entschieden, und ob er anruft oder nicht, ist nicht so wichtig. Männer kommen und gehen. Sie kommt und geht. Was kann ein Mensch sich erwarten?“

Es ist ein interessant geschriebener, recht kurzweiliger Roman über Formen heutiger Einsamkeit und Beziehungen in Großstädten, unter modernen Arbeitsbedingungen, innerer und äußerer Rastlosigkeit und der Schwierigkeit sich in fremden Sprachen zu begegnen.
„So, wie ein Vogel in der Kälte vom Ast fällt, um im trockenen Laub zu frösteln. so tickt die Einsamkeit. Sonderbar logisch, wie ein beliebiges Uhrwerk.“

Ida Hegazi Høyer, Trost, Roman, a.d. Norwegischen v. Alexander Sitzmann, Residenz Verlag, Salzburg-Wien 2019, 205 S., ISBN 978-3-7017-1707-1

3 Gedanken zu „Ida Hegazi Høyer, Trost

  1. Das ist genau das, was ich gerne lese. Also bedanke ich mich wieder mal bei Dir für die gute Besprechung. Dabei frage ich mich, woher Du immer wieder die feinen Leseideen bekommst…
    Gruß von Sonja

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert