
Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht das Feuer

Über das Programm der Ruhrfestspiele bin ich auf diesen Roman gestoßen, den man nach Ansicht Daniel Kehlmanns in seinem Nachwort eher als „Lebenserinnerungen“ der Tochter von Elisabeth Langgässer bezeichnen sollte.
Die Autorin selbst sagt in einem Interview:
„Das Buch ist ein Roman in dem Sinn, dass es ganz bewusst künstlerisch gestaltet, jedes Wort ganz bewusst gewählt wurde.“
Als was man auch immer dieses Buch liest, es ist laut Kehlmann „eine furchtbare Lektüre“, der man eigentlich eine Triggerwarnung voranstellen sollte. Doch ich denke, wer Literatur über den Holocaust liest, weiß in der Regel, auf was er sich da einlässt.
Die Erinnerungen beginnen eher als die Geschichte einer schwierigen Mutter-Tochter-Großmutter Beziehung und der Besonderheit der schriftstellerischen Tätigkeit Elisabeth Langgässers, die als Halbjüdin später nicht mehr veröffentlichen durfte.
„Das Mädchen hatte immer schon gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Sie war nicht wie andere. Mit ihr war ein Geheimnis verknüpft, ein sündiges, ein schamvolles, dunkles Geheimnis. Es war nicht ihre eigene Sünde und Scham; sie war hineingeboren worden, auserwählt für das, weshalb sie ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde.“
Es kommt als uneheliches Kind ihrer Mutter auf die Welt. Der Vater ein verheirateter Mann, kann als solcher nicht in Erscheinung treten. Das Kind soll allerdings nicht zur Adoption freigegeben werden, wie dies in den Dreißigern des letzten Jahrhunderts oftmals an der Tagesordnung war. Also ziehen Mutter und Kind in Begleitung der Großmutter und eines gutmütigen Onkels in die Hauptstadt Berlin, um der Schmach und Schande des Dorfes zu entgehen. Doch auch dort darf das Geheimnis nicht publik werden, so dass das Mädchen isoliert aufwächst, da es mit anderen nicht spielen darf.
Es entsteht eine Gemeinschaft gegenseitiger Abhängigkeiten, in der Mutter und Großmutter ein „Tauziehen“ um die Erziehung des Mädchens veranstalten.
Isoliert und einsam fühlt es sich auch weiterhin, als die Mutter später heiratet – „Das Kind braucht einen Vater“- und weitere Kinder bekommt. Es fühlt sich auf sich allein gestellt, „trotztröstet“ sich mit der eher katholisch geprägten Vorstellung, „eine Krone des Leids“ zu tragen. „Denn das war ihr Auftrag, ihre Berufung. Und wie so oft kam diese früh, sehr früh. Und das Mädchen hörte, sah und gehorchte.“
Der immer weiter um sich greifende Rassenwahn und die Pläne zur „Endlösung“ der Juden führen dazu, dass die Vierzehnjährige nach diversen Versuchen unterzutauchen über Theresienstadt nach Auschwitz kommt.
Die Erinnerungen an die Zeit mit ihrer Mutter, Großmutter und der späteren erweiterten Familie werden kapitelweise unterbrochen von ihren Erinnerungen an die Zeit in den beiden Lagern und die Erfahrungen, die sie dort machen musste. Anfangs kann sie noch „von den Worten der Dichtung buchstäblich leben und sich ernähren.“ Doch später dann verlieren auch sie ihren Zuspruch und ihre Wirkung. Denn die erzwungene Entmenschlichung im Lager erlebt das Mädchen als vollständige innere Leere, als Abwesenheit von allem:
„Niemand, kein Mensch und kein Ding, kein Leben und noch kein Tod. Keine Schuld und kein Glaube, keine Hoffnung und keine Liebe, am allerwenigsten Liebe. Wörter, die wie schwere, tote Steine ins unersättliche, bodenlose Nichts fielen. Kein Hass und kein Zorn – wen sollte man hassen und worüber sollte man sich erzürnen in diesem leeren Niemandsland.“
Diese Leere als Ergebnis permanenter Traumatisierungen spiegelt sich nach der Rettung als Überlebende in ihrer Sprachlosigkeit bzw. in ihrem Schweigen wieder, das Unverständnis bei denen auslöst, die sie in Schweden aufgenommen haben und gleichzeitig eine Art Vorausschau auf die Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen und individuellen Aufarbeitung dieser Erfahrungen in den Nachkriegsjahren und -generationen darstellt:
“ ‚Es ist doch jetzt vorbei, jetzt musst du all das geschehene Böse vergessen. Bald bist du wieder ganz gesund‘ …
Vorbei, vergessen, gesund – das Mädchen spürte wie die Verzweiflung, die Wut und der Hass zu einem glühenden Feuerball in ihrem Hals wurden. Noch hatte sie keine Worte, denn sonst hätte sie geschrien: ‚Aber für mich ist es nicht vorbei, ich will nicht gesund werden, und ich will nicht vergessen! Ihr wollt es > durchstreichen und weitergehen < , wie es so schön und bequem heißt…“
Zu ihrer Mutter nimmt sie erst ein Jahr nach ihrer Befreiung Kontakt auf, um ihr mitzuteilen, dass sie lebt. Die Mutter schreibt ihr einen Brief nach Schweden, in dem sie die Tochter bittet, über ihren Alltag in Auschwitz zu berichten. Sie schreibe an einem Roman, in der eine junge Frau vorkomme, die in Auschwitz gewesen sein und es sei wichtig das „die Details der Erinnerungen der jungen Frau stimmten.“
„Die Tochter antwortete, berichtete, so gut sie konnte. Als sie den Roman der Mutter später las, erkannte sie ihre Erinnerungen nicht wieder. Es war zu viel und doch zu wenig, es wurde vm Feuer gesprochen, aber über die Asche geschwiegen. Wie sollte es auch anders sein, es war von einer Lebenden geschrieben worden.“
Der Roman ist 1984 auf Schwedisch erschienen, 1986 erstmals auf Deutsch und war schon länger vergriffen. Der Hanser Verlag hat 2023 „Gebranntes Kind sucht Feuer“ neu herausgegeben.
Es ist für Daniel Kehlmann „ein wichtiges Buch in der Kategorie der bleibenden Holocaust-Erinnerungen“ und ein echtes Versäumnis der Erinnerungskultur – es gibt weiß Gott nicht so viele klarsichtige Zeugenberichte aus dem Innersten der deutschen Tötungsmaschinerie, dass man es sich leisten könnte, einen der überzeugendsten davon zu ignorieren.“
Dieser Beurteilung kann ich mich ohne Abstriche anschließen, zumal es – soweit das bei einem solchen Buch Kriterium sein kann/ darf – gut geschrieben ist.
Zudem „zwingt“ es einen dazu, das eigene, meist in der Schule entstandene Bild über Elisabeth Langgässer zu überdenken. Ich erinnere noch gut die Erzählung „Saisonbeginn“, in der am Ortseingang das Schild steht: „In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.“ In einen solchen Ort zu strammen Nazis schickt sie dann in den Ferien ihre Tochter.
Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht Feuer, a.d. Schwedischen Ursel Allenstein, Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann, 3. Aufl. München 2023, 142 S., ISBN 978-3-446-27756-4
2 Gedanken zu „Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht das Feuer“
Oh, das ist sicher harte und fast unverdaubare Kost. Und doch sehr, sehr wichtig als Bezeugung dessen, was damals passierte und war.
Ob ich mir es zumuten möchte, weiss ich noch nicht.
Danke für deine wohlgesetzten Worte dazu.
Und lieben Gruss in den Pfingstmontag, der hier mit etwas Sonne beginnt,
Brigitte
Leider habe ich die Lesung mit Corinna Harfouch verpasst. Zumindest bin ich über Umwege zu diesem Buch gekommen.
Hier startet der Tag ebenfalls sonnig und „freundlich“.
Wünsche dir noch einen angenehmen Pfingstsonntag.