Max Mohr, Frau ohne Reue

Max Mohr, Frau ohne Reue

Die erste Begegnung mit der Protagonistin Lina Gade findet vor einem Bäckerladen statt, als sie in ihrer Tasche nach einem Almosen für einen Straßenmusikanten kramt und dieser „den ganzen Zauber einer vollgestopften Frauentasche in sich aufnimmt. Es sah das Innenfach mit dem Geld, das Seitenfach mit dem Spiegel, dazwischen das aufregende Dickicht aus Taschentuch, Notizblock, Bleistift, Schlüsseln, Dosen und Zetteln. Er sah auch das kleine Spielzeug für das Kind. Es war der Schlager, der in diesen Tagen an allen Ecken angeboten wurde, ein kleiner bunter Hahn aus Blech, der verblüffend gut krähte, wenn man die Schnur am Schwanz zog.“

Mit dem Taxi lässt sie sich dann zur Villa Gade in Halensee fahren.
„‚Die Zeit ist da.‘ Was sie damit meinte, mochte der Mond wissen, … . Sie selber jedenfalls wusste es nicht.“

Der Roman beginnt also recht unspektakulär und dennoch erzeugt der Satz: „Die Zeit ist da.“ Neugier, auf das, was da noch kommen mag.

In der Villa ihres Mannes trifft Lina Gade auf Paul Fenn, den „stellungslosen Meister der geschliffenen Sätze“, einem bereits zweimal verheirateten Journalisten, der sich bei ihrem Mann, Bankier und Finanzier einer Zeitung, um eine Stelle bewirbt.

Lina Gade widersetzt sich dem abendlichen Ritual ihres Mannes, den Gästen, heute also Paul Flenn, ihre Tochter Jane zu präsentieren. Schnell merkt der aufmerksame Leser – auch ohne den expliziten Hinweis der Haushälterin – dass es bei dem „nebensächlichen mütterlichen Streik (um) den Generalstreik der ganzen Ehe“ ging. Lina wartet scheinbar nur auf einen äußeren Anlass:

„Sie war feig und faul, sie schlief. Sie lebte schlafend, sie schleppte sich immer weiter dahin in dieser toten Ehe, nur weil sie nicht wußte, was sonst. ‚Gott wie feig‘ stöhnte sie.
Und dann verlässt sie mit Paul Flenn das Haus, ihren Mann und ihr Kind, während ihr Gatte mit London telefoniert. Sie und Paul Flenn entführen später Linas Kind und wohnen in den Bergen, wo Paul vergeblich versucht wieder zu schreiben. Die Ehe endet dramatisch mit dem Tod Paul Fenns.

Lina bedient sich noch einige Male der Männer, um ihre Vorstellungen vom Leben zu realisieren und schert sich nicht um (bürgerliche) Konventionen, Moralvorstellungen oder sonstige Regeln und Gepflogenheiten, gibt das Kind sogar wieder in die Obhut des Vaters.

Als ihre Tochter dann zur Schule soll, beschließt sie „zu dem Kind und seinem Vater zurückzukehren. Und sie hatte Angst, daß die alten Zweifel und Ideen wieder in ihr hochkommen könnten, wenn sie sich sich lange besann, die klugen Gedanken, die den Mond der Frauenseele töteten, die apokalyptische Stadt, der Männerbankerott, die Verwunschenen und Versumpfenden.“
Jane glaubt, ihre Reise sei zu Ende. Ja, sie ist zu Ende, aber anders als von ihr gedacht und vorgestellt. Der Roman endet dramatisch mit Janes überraschendem Tod.

Alle Protagonisten dieses in den Zwanzigern der letzten Jahrhunderts angesiedelten Romans wirken verloren, in einer Welt, in der sie keinen festen Halt finden, weder in sich selbst noch in Beziehungen welcher Art auch immer, noch an irgendwelchen Sehnsuchtsorten. Ihre Versuche, unabhängig nach eigenen Vorstellungen zu leben, scheitern durchweg. Flucht aus der Zivilisation in die noch intakte Bergwelt ist auch keine Lösung.

Ein Roman, der mit seiner Thematik also immer noch aktuell ist. Ergänzt wird er durch eine biografische Skizze von Roland Flade und ein Nachwort von Stefan Weidle. Die Ausführungen der beiden machen auch Bezüge des Romans zu Max Mohrs Leben deutlich, der ursprünglich als Arzt praktiziert hat, dann aber zur Schriftstellerei wechselte. Doch seine Einstufung als Nichtarier machen ab 1933 Publikationen unmöglich, so dass Max Mohr im November 1934 nach Shanghai auswandert, ohne noch einmal nach Deutschland zurückzukehren. Er stirbt mit nur 46 Jahren an einem Herzinfarkt.

Max Mohr, Frau ohne Reue, Roman mit einer biografischen Skizze von Roland Flade und einem Nachwort von Stefan Weidle, Weidle Verlag, Bonn 2020, 221 S., ISBN 978-3-938803-95-0

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