Ermal Meta, Morgen und für immer

Ermal Meta, Morgen und für immer

„Morgen und für immer“ erzählt die Lebensgeschichte Kajans, der wohlbehütet während des Zweiten Weltkrieges in Albanien bei seinem Großvater auf einem kleinen provinziellen Bauernhof aufwächst, weil seine Eltern als Partisanen im Widerstand leben und kämpfen. Doch eines Tages taucht bei ihnen der deutsche Deserteur Cornelius auf und bittet um Zuflucht, die ihm der Großvater nach langem Zögern dann auch gewährt.

Cornelius und Kajan verstehen sich auf Anhieb. Kajan wird wie ein Sohn für ihn, dessen Familie während des Zweiten Krieges umgekommen ist. Cornelius lernt von Kajan Albanisch und Kajan von Cornelius Deutsch und das Klavierspielen, eine Fähigkeit, die sein weiteres Leben bestimmen wird. Denn Cornelius ist überzeugt: Die „Musik ist in ihm drin.“ Kajal muss sie „nur“ nach draußen bringen.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt sich Albanien zu einer kommunistischen Diktatur, in der alle „antikommunistischen Elemente“ gnadenlos und brutal verfolgt werden. Kajans Mutter ist als führende Parteifunktionärin für den Inlandsgeheimdienst tätig und sorgt dafür, dass ihr Sohn, mittlerweile ein bekannten Klaviervirtuose, und Elizabetha, Tochter von Widerständlern, in die sich Kajan verliebt hat, für immer getrennt werden.

Davon weiß Kajan allerdings nichts, als er 1962, auf Wunsch seiner Mutter an einem Konzert in Ost-Berlin teilnimmt, auf dem sich die Talente des Ostblocks präsentieren sollen. Diese Reise ist für Kajan der Beginn einer mehr als zwanzig Jahre dauernden Odyssee. Unglaubliche Zufälle und Begegnungen prägen sein Leben, in denen er – ohne es zu wollen – zwischen die politischen Fronten von Stasi und CIA gerät.

Über Westberlin gelangt er mit Hilfe der CIA in die USA und beginnt dort quasi als „Tellerwäscher“ – völlig auf sich allein gestellt – bis auf den alten Slow an seiner Seite. Für diesen ist
„Jazz … ein Versuch der Schönheit, den Fängen des Elends zu entkommen. In kleinen Dosen, kleinen Schritten. Und weißt du was? Ich bin fest davon überzeugt, dass sie sogar im Paradies Jazz hören!“

Ein Klavier in der Bar, in der Kajan arbeitet, wird zum Mittel, sich wieder zu Gehör zu bringen, gehört zu werden und – nach langer Zeit – auch wieder Musik spielen zu können.

Nach persönlichen Schicksalsschlägen, mehreren unverhofften Wiedersehen mit Verwandten und Bekannten beschließt Kajal nach Albanien zurückzukehren. Er hat eine Mission, die er erfüllen will, nimmt dafür sämtliche drohende Gefahren in Kauf und landet in einem Internierungslager, nicht unähnlich den KZ der Nazis.

Der Roman ist auf der einen Seite die sehr persönliche Geschichte Kajals, die allerdings nicht einen Moment lang von den gesellschaftlich und politisch vorgegebenen Umständen zu trennen ist, die er in ihrer unglaublichen Härte und Brutalität immer wider selbst erfahren muss. Gleichzeitig trifft es auch in unterschiedlichem Ausmaß die Menschen seiner Umgebung.

Es ist ein Roman, der die Gewalttätigkeit und Gnadenlosigkeit des damaligen, kommunistischen Regimes bzw. seiner Funktionäre in Albanien, des Überwachungsstaates der ehemaligen DDR sowie die Umtriebe der CIA, kurz die damalige Situation des Kalten Krieges zwischen den tatsächlichen und ideologischen Fronten offenlegt und an einem Einzelschicksal in voller Breite verdeutlicht.

Ich kann nicht überprüfen, inwieweit das geschilderte Schicksal mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt, auf jeden Fall macht es die Auswirkungen totalitärer Regime deutlich und ist von daher „brandaktuell“, wenn man die aktuellen politischen Entwicklungen verfolgt.

Es ist kein Roman für schwache Nerven oder sehr zart Besaitete, sprachlich gut lesbar, aber für mich keine großartig neuer Stern am literarischen Himmel. Die Handlung kommt mir stellenweise arg konstruiert vor, auch wenn ich aus eigener Erfahrung weiß: Das Leben kann manchmal Wendungen nehmen kann, die schier unglaublich sein können.

Es ist auf jeden Fall ein sehr spannender Roman, ein page-turner auf Neudeutsch, der dann auch – fast hollywoodmäßig – versöhnlich endet, wenn nämlich Kajal seinem Enkel das Klavierspielen auf die gleiche Weise beibringt, wie er es selbst von Cornelius gelernt hat:

“ ‚Setz dich her auf meinen Schoß. Wenn wir es zusammen versuchen, schaffen wir es vielleicht.‘
Das Kind streckte seine Arme aus, der Großvater hob es hoch und setzte es auf seinen Schoß. Dann legte er seine Hände auf die Tastatur.
‚Leg deine Hände auf meine‘, sagte er zu seinem Enkel.
Der Junge gehorchte.“

Die Frage des Jungen, ob sie morgen wieder spielen können, beantwortet Großvater Kajal mit:
„Ja, Kajan. Morgen und für immer.“

Ermal Meta, Morgen und für immer, Roman, a.d. Italienischen v. Peter Klöss, Hanserblau, München 2023, 528 S., ISBN 978-3-446-27644-4

4 Gedanken zu „Ermal Meta, Morgen und für immer

  1. Das liest sich spannend und geschichtsträchtig.
    Danke für die ergiebige Zusammenfassung des Inhalts.
    Das Cover sieht auch sehr ansprechend aus.
    Einen lieben ersten Junigruss,
    Brigitte

  2. Auch die jeweiligen Abschnitte des Romans beginnen mit diesen Brombeerranken. Sie sind einer Episode im Leben des jungen Kajan geschuldet, in der er sich über ein Verbot seines Großvaters hinweggesetzt hat – mit sehr schmerzhaften Folgen.
    Liebe Abendgrüße

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