
Jana Kreisl, Geht’s eigentlich nur mir so?

Jana Kreisl setzt sich mit der weit verbreiteten Ansicht „Wir können heute alles sein! Uns stehen alle Türen offen … und Glück ist eine Entscheidung“ auseinander, die keinen Platz für Scheitern, für Fehlschläge, Misslungenes und die sie begleitenden Gefühle wie Angst, Enttäuschung etc. bereithält. Doch wohin mit diesen eher unerwünschten Gefühlen, Verhaltensweisen, die nicht in die propagierte Glückswelt passen: in eine Kiste sperren, unter den Teppich kehren und für sich behalten oder darüber reden?
Die Autorin erinnert sich an die früher oft genutzte Möglichkeit des Beichtstuhls, der aus ihrer Sicht „einen Raum bot für Geschichten, für die es sonst keinen Platz gab. Und vielleicht war der Akt des Erzählens wichtiger als die Absolution.“
Daraus entstand die Idee, mit einem Beicht-O-Mat durchs Land zu ziehen und Menschen die Möglichkeit zu bieten, ihnen vorbehaltlos zuzuhören, ohne sie zu beurteilen oder ihnen Ratschläge zu erteilen.

Jana Kreisl hört zu und setzt das Gehörte in Bilder um, die die Erzählenden am Ende als Illustration ihrer Geschichte mitnehmen. Etwa 180 Menschen haben ihr auf ihrer Tour ihre Erlebnisse mitgeteilt, die sie „ganz schön berührt haben.“

Daraus ist dann dieses Buch entstanden, das über Bilder und mit Texten Menschen den Raum gibt, über Angst, Neid, Enttäuschungen, Lebens- und Gewissenskonflikte zu sprechen, thematisch in verschiedenen Kapiteln zusammengefasst.
Grundsätzlich finde ich es gut und not-wendig, Menschen zuzuhören und Räume dafür zu schaffen und bereit zuhalten. In meiner Stadt bietet z.B. die Gastkirche entsprechende Zeiten an, wo Menschen jemanden antreffen, der ihnen zu hört. Bei den Ruhrfestspielen im letzen Jahr gab es eine vergleichbare Aktion, an der ich teilgenommen und erlebt habe, dass Bedarf vorhanden ist.
Übrigens einen Raum, in dem man anonym bleiben kann, bietet auch die Telefonseelsorge an. D.h. die Idee finde ich uneingeschränkt gut, kann auch die Mühe, den (Zeit-)Aufwand der Autorin wertschätzen, den Raum aber Beicht-O-Mat zu nennen, weckt – zumindest bei mir – unangenehme Erinnerungen an Schuld, Sünde, Buße, Reue und dergleichen mehr.
„Der Beicht-O-Mat hat bei uns beiden erst mal zu einer langen Diskussion geführt, was das überhaupt ist, Sünde.“ liest man ziemlich am Ende. Nur mehr erfährt man nicht wirklich. Es kommt dann wieder eine Geschichte.
Ich stehe diesem Buch ein wenig skeptisch und zwiegespalten gegenüber: Auf der einen Seite finde ich diese Aktion gut, auf der anderen Seite frage ich mich, inwieweit es Menschen entlasten kann, in einem Buch zu lesen, dass auch andere Menschen Gefühle und Erlebnisse haben, mit denen sie nicht umzugehen wissen. Doch vielleicht ist es ja ein Anfang.
Jana Kreisl, Geht’s eigentlich nur mir so? Wahre Geschichten über ungebetene Gefühle, Eichborn Verlag, Köln 2024, 176 S., ISBN 978-3-8479-0190-7
4 Gedanken zu „Jana Kreisl, Geht’s eigentlich nur mir so?“
Na ja, ich würde die ungebetenen Gefühle lieber im Wald „loswerden“ als im Beichtstuhl (wie früher, wo wir nie etwas wirklich Belastendes zu beichten hatten) oder in diesem Beicht-O-Mat. Letzteren hätte ich wohl eher Bericht-O-Mat betitelt, denn das Zuhören – allerdings lieber von Gesicht zu Gesicht – ist für manche Menschen bestimmt ein echtes Bedürfnis.
In diesem Sinne lieben Gruss, Brigitte
Im Wald ist auch mehr Platz ;)
Liebe Grüße, garniert mit einem Lächeln.
Davon lesen, ja, aber endlos jemandem zuhören, nein.Grüße von Sonja
Das ist sicher nichts für jede(n)
Es geht auch nur, wenn man sich abgrenzen kann, ohne sein Mitgefühl zu verlieren.
Liebe Grüße