
Margaret Goldsmith, GOOD-BYE FÜR HEUTE

Karin, Medizinstudentin im 3. Semester, lebt mit ihrer verwitweten Mutter Jean und ihrem Zwillingsbruder Erhard nach dem Tod des Vaters im ehemaligen Stadtdomizil der Familie von Tarnowitz. Freiberuflich verfasst die gebürtige Amerikanerin Theaterkritiken für französische und englische Zeitungen sowie Kolumnen mit dem Titeln „Aus dem Leben“ für eine Berliner Tageszeitung und einige Provinzblätter. Denn der ihr hinterlassene Besitz ihres Mannes ist in der Inflationszeit zu einem Nichts „geschmolzen“. Sie liebt ihre Tätigkeit und die damit verbundene Freiheit. Allein ihrer Tochter wegen grollt sie ihrem US-amerikanischen Vater, der sie und ihre Kinder in seinem Testament nicht bedacht hat. Denn Karin muss mit Nebentätigkeiten das teuere Medizinstudium finanzieren.
Mutter und Tochter sind eher liberal, fortschrittlich eingestellt und trauern der junkerschen Vergangenheit mit den festgelegten, vor allem sie als Frauen so begrenzenden Traditionen nicht nach, ganz im Gegensatz zu Erhard, der die Junker-Ideale hochhält und im aufkommenden Nationalsozialismus eine Möglichkeit sieht, sich für deutsch-nationale Ziele einzusetzen, die Zeit „zurückzudrehen“. Er entzieht sich zunehmend dem Einfluss der Mutter, die nach und nach ihre Hilflosigkeit einsehen muss, denn ihr Sohn verweigert sich ihren Gesprächsangeboten und Argumenten und ist für sie nicht mehr erreichbar:
„Obwohl er sie nie ins Vertrauen gezogen hatte, vermutete sie seit langem, dass er Mitglied jener geheimen militärischer Vereinigungen fanatisch-nationalistischer junger Männer war, die sich gegen die Republik verschworen hatten und deren Repräsentanten ermorden wollten.“
Ihre Tochter bestärkt Jean darin, ihren eigenen Weg zu gehen, auf ihre Art und Weise glücklich und zufrieden zu werden, unabhängig von Normen und Konventionen die gesellschaftliche Situation der Frauen betreffend, die sich sogar auf auf die Mode erstrecken:
“ ‚Dein Rock ist viel zu kurz‘, sagte Erhard zu seiner Schwester …
‚Ganz im Gegenteil‘, entgegnete Karin. ‚Alle meine Kleider sind zwei Zentimeter länger als die Mode. Aber dieses kleine Zugeständnis mache ich, weil ich eine berufstätige Frau bin.‘
‚Deutsche Frauen, die arbeiten, haben sich stets züchtiger gekleidet‘, antwortete Erhard grantig.
‚Ja, vielleicht‘, gab seine Schwester unwirsch zurück, ‚und einige altmodische Leute wie du halten es immer noch für ein Verbrechen, wenn eine Frau klug und attraktiv ist.‘ „
Auch seiner Mutter empfiehlt er, sich nicht so „fremdländisch“ zu kleiden, und nicht in die Oper zu gehen, wenn sie sich keine Karten für die besten Plätze leisten könne – „dort wo man einen von Tarnowitz sehen sollte.“ Vor allem solle sie Deutsch sprechen.
Die politisch sich anbahnende Radikalisierung und Gegensätzlichkeit im Deutschland um 1926 wird in diesem Roman, einer Art Familienroman, ziemlich deutlich und zieht sich wie ein Riss durch die Familie.
Erzählt wird der Alltag dieser kleinen Familie zwischen Tradition – stellvertretend dafür steht die adelige Schwiegerfamilie Jeans – und Moderne – Jean ist vehemente Anhängerin der Demokratie, Karin überlegt sogar der sozialistischen Partei beizutreten, und den reaktionären, nationalsozialistischen und antisemitischen Ansichten Erhards, den es zunehmend drängt, seiner Überzeugung Handlungen folgen zu lassen.
Auf der Beziehungsebene hält der Roman auch einige Überraschungen und Kehrtwendungen bereit, als nämlich Karin einen Mann kennenlernt, der von ihrer Intelligenz und Schönheit fasziniert ist, nicht aber von ihren beruflichen Plänen.
Und auch Jean macht die Bekanntschaft mit Mark, der für sie die Welt wieder zum Singen bringt, „so schön und tiefgründig, wie ich es nie für möglich gehalten hätte, und jetzt hast du mir Frieden gebracht, den vollkommenen Frieden.“
Dieser Roman ist der Debütroman Margaret Goldsmiths der bereits 1928 erschienen und jetzt im AvivA Verlag neu verlegt worden ist, ergänzt mit einem aufschlussreichen Nachwort über die Autorin und die Entstehung dieses Romans, der „frappierende Parallelen zur heutigen Zeit“ aufweist. Gute Unterhaltung mit Tiefgang. Wirklich lesenswert.
Margaret Goldsmith, GOOD-BYE FÜR HEUTE, herausgegeben, a.d. Engl. übersetzt und mit einem Nachwort versehen v. Eckhard Gruber, AvivA Verlag, 222 S., ISBN 978-3-949302-29-9
2 Gedanken zu „Margaret Goldsmith, GOOD-BYE FÜR HEUTE“
Oh ja, da sehe ich durchaus Parallelen zur damaligen Zeit.
Das könnte ein spannendes und aufschlussreiches Buch sein.
Danke für die feine Besprechung und lieben Gruss ins Wochenende, Brigitte
Ja, die beiden Frauen suchen ihren Weg, unabhängig und dennoch eingebunden in die damals vorherrschende Ideologie, die in hohem Maße Frauen einschränkte, sie unmündig hielt, zumal wenn sie verheiratet waren.
Sonnige Aprilgrüße schicke ich dir.