Mieko Kawakami, Heaven

Mieko Kawakami, Heaven

Reicht es für eine Freundschaft, wenn die Gemeinsamkeit darin besteht, „Außenseiter und Opfer übler Mobbing-Attacken“ zu sein?

Der namenlose schielende, vierzehn Jahre alte Ich-Erzähler lebt nahezu ohne Kontakte. In der Schule ist er Mobbingopfer übelster Art. Schon darüber zu lesen, geht an die Substanz, immer gepaart mit der Frage, warum tun sich Jugendliche so etwas nur an? Eine mögliche Antwort gibt einer der Täter: Weil er es kann und es Spaß macht.

„Spontane Lust, die Lust, jemanden zu verprügeln oder jemanden zusammenzutreten, lässt sich manchmal eben zufällig spontan befriedigen. Deine Situation ist das Ergebnis einer solchen zufälligen spontanen Befriedigung. Das ist alles.“

Zu Hause ist der Ich-Erzähler ebenfalls isoliert, der Vater kaum da, die Stiefmutter zwar anwesend, aber an ihm nicht wirklich interessiert. Niemand, dem er sich anvertrauen kann und will. Er gerät er in zunehmend größere Resignation und Lethargie. Seine Versuche, die Täter zu verstehen, enden in noch größerer Sprach- und Verständnislosigkeit:

“ ‚Und das, … das findest du richtig? Du findest das richtig, was sie einem Menschen … was sie einem Menschen antun? … Mir fehlten die Worte. Wie vom Donner gerührt stand ich da und starrte auf sein Knie.“

Kojima, seine gleichaltrige Klassenkameradin, ist Mobbingopfer derselben Clique. Bei ihr ist es die andersartige Art sich zu kleiden, ihre ungepflegten Haare, ihr ungepflegtes Äußeres. Sie ist sich allerdings sicher dass es nur ein vorgeschobener Grund ist, da die Täter ihrer Meinung nach gar keinen Grund brauchen. Im Verlauf der Romans erfährt man, dass sie aus Solidarität zu ihrem Vater, der von ihrer Mutter geschieden ist, so rumläuft.

Sie beginnt irgendwann dem Ich-Erzähler heimlich kurze Nachrichten zukommen zu lassen, die er beantwortet und dann ungeduldig auf die nächste Nachricht wartet. In ihm keimt nach und nach die Hoffnung, in Kojima eine Verbündete gefunden zu haben, die ihn versteht, mit ihm solidarisch ist. Da ist auf einmal jemand, der sich für ihn interessiert, für den er sich interessieren kann. Akribisch achten sie darauf, dass ihre Freundschaft nicht publik wird, aus Angst vor noch demütigenderen Mobbingattacken, die sie letztendlich dann doch nicht verhindern können.

Der Roman wirkt verstörend und beunruhigend. Er hallt lange nach ob der unglaublichen Brutalität der Attacken. Fragen kommen auf: Wo sind denn die Erwachsenen, die (ihre) Kinder auf der einen Seite beschützen sollen und müssen und auf der anderen Seite den Tätern die Verwerflichkeit ihres Handelns vor Augen führen und sie für ihr Verhalten auch angemessen bestrafen?

Die Sicherheit der Täter lässt einen – ähnlich wie den Ich-Erzähler – sprachlos zurück: „Strafrechtlich belangt werden können wir nicht, dafür sind wir zu jung. Außerdem hielten die Vorwürfe eh nicht lange stand. Mobbing ist nicht eindeutig definiert. Das legt jeder aus, wie er will.“

Tun, wozu man Lust hat, das scheint die Lebensphilosophie der Täter zu sein und kein Erwachsener gebietet ihnen Einhalt. Es scheint, als wären sie alle abwesend. Der Ich-Erzähler und seine Klassenkameradin finden sehr unterschiedliche Arten, mit diesen Quälereien umzugehen.

Mieko Kawakami, Heaven, Roman, a.d. Japanischen v. Katja Busson, Dumont-Verlag, Köln 2021, 190 S., ISBN 978-3-8321-8374-5

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