
Sarah Knausenberger, Kerstin Marie Backes, Nie wieder Frühling

„Grandma wird immer weniger.
Ich sehe es an ihren Wangen, da bilden sich Täler.
Heute warte ich lange, lange. Da öffnet sie ein Auge
und ihr Lächeln kommt zurück. Es hängt schief an
ihrem Mundwinkel. Aber es ist ihr Lächeln.“
Und es gilt ihm, ihrem Enkel, und den Pflanzen auf dem Fensterbrett. Durch’s geöffnete Fenster sieht man, wohin man auch schaut, nur Tristesse und Trostlosigkeit, obwohl es Mai ist. Nur im Zimmer der Großmutter gibt es zarte Knospen an einem Kaktus und die Verbindung von Enkel und Großmutter über ihre Schatten, ein erster zarter, bildhafter Hinweis auf ihre Beziehung.

Und dann hört er, wie die Erwachsenen darüber reden, wohin mit seiner Großmutter:
„Ohne Frühling kann ich leben, auch damit
dass niemand mehr mit mir redet und Mama
immer komischer wird.
Aber nicht ohne Grandma. Sie ist die Einzige,
die noch lächelt, die Einzige, die noch normal
mit mir spricht.“
Und doch weiß er, dass sie stirbt. Er fühlt sich allein, verlassen, auch von den Erwachsenen, die sich über den letzten Willen der Großmutter hinwegsetzen wollen. Er kämpft für sie, stellt sich den Männern, die ihren Leichnam verwerten sollen – da ist auch vom Kopfabtrennen, aber erst im Institut die Rede – mit einem Zettel in der Hand entgegen – „Ich möchte auf dem Grünen Friedhof in Virginia begraben werden. Hochachtungsvoll – Madeleine Godshall“ – und droht ihnen, die Polizei einzuschalten. Erfolgreich.
Später bekommt er unerwartet von Rachel, einer Nachbarstochter Hilfe angeboten, die von seiner Großmutter gehört hat:
„Wenn du mal Hilfe brauchst … Dann bin ich da.“
Und dann ist da ja noch der Auftrag seiner Oma, sich um die Tomaten zu kümmern, die wie alles „aus Gottes Schöpfung“ Liebe brauchen: „Es geht um alles. … Um unsere ganze Erde.“
Und um die sorgen sich die Erwachsenen nicht wirklich, sind eher damit beschäftigt, Schuldige für die Klimaveränderungen zu suchen, Veränderungen beim Gesundheitsamt zu melden und dafür kostenlos Antidepressiva zu bekommen. Wirklich: Trostlosigkeit und Rücksichtslosigkeit auf weiter Flur.
Wie soll ein Kind in einer solchen Umgebung heil aufwachsen? Doch die Großmutter mit ihrem Lächeln, ihrer Fürsorge für alle Kreaturen, ihrer Zuversicht und Tatkraft, sich im Gewächshaus um die Pflanzen zu kümmern, ihrem eisernen Willen „Ich bin fünfundachtzig, aber gegen meinen Willen hat mich noch niemand zu etwas gebracht.“ ist sie Vorbild, Leuchtturm für den Enkel. Und ja, da ist ja auch noch die Aussicht auf Solidarität und Liebe, die dann doch wieder Kirschblüten regnen lässt. Und das Lächeln der Großmutter, das auch nach ihrem Tod über ihrem Gesicht schwebt wie ein „Schmetterling aus Licht.“
Es ist ein in jeder Hinsicht düsteres Buch, die Kirschblütenblätter als Hoffnungsschimmer erklären sich nicht von selbst. Der Text bedarf m.E. der Fähigkeit, ihn zu interpretieren. Eine Leistung, die Kinder und Jugendliche ab 12 Jahre, für die das Bilderbuch gedacht ist, schon leisten können müssen. Doch vielleicht können sie sich gut mit dem Enkel identifizieren und bekommen darüber einen emotionalen Zugang und ein entsprechendes Verständnis für das Dargestellte.
Der Handlungsappell ist allerdings eindeutig: Die Welt ist nur mit Liebe, Fürsorge und menschlicher Solidarität zu retten. Und das scheint Aufgabe der Enkelgeneration zu sein, weil die Erwachsenen diese Aufgabe offensichtlich nicht übernehmen können oder wollen.
Warum die Geschichte in Amerika spielt, erschließt sich mir nicht, hat aber vielleicht mit der Autorin zu tun, die zeitweise in den USA gelebt hat.
Die Illustrationen von Kerstin Marie Backes sind zartfühlend, klar und stellen das Wesentliche des Textes in einer Bildsprache dar, die – angelehnt an den Text – schon fast eine eigenständige Geschichte erzählen, in der die Emotionen der Beteiligten viel Raum bekommen und wirken können.
Sarah Knausenberger (Text), Kerstin Marie Backes (Illustration), Nie wieder Frühling, Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2025, 48 S., ISBN 987-3–948743-51-2
2 Gedanken zu „Sarah Knausenberger, Kerstin Marie Backes, Nie wieder Frühling“
Das scheint mir ein gutes, wervolles Buch zu sein, auch für Erwachsene. Gossmütter mit diesen Eigenschaften sind immens wichtig für die heranwachsende Generation.
Danke fürs sorgsame Besprechen und lieben Gruss,
Brigitte
Es sollte aber viellicht mit einem erwachsenen Ansprechpartner gelesen und besprochen werden.
Danke dir für dein Lob.
Liebe Grüße