Ann Petry, The Street

Ann Petry, The Street

„Die Straße“ ist der erste, 1946 erschienene Roman einer afroamerikanischen Frau, der sofort Furore gemacht hat, über 1,5 millionenfach verkauft worden ist und nun in einer Neuübersetzung von Uda Strätling vorliegt. Ein – leider immer noch – aktueller und hochbrisanter Roman über die Schwierigkeiten Schwarzer, in einer von Weißen mit ihren Vorurteilen dominierten amerikanischen Gesellschaft menschenwürdig zu leben.

Ann Petry erzählt die Geschichte der Lutie Johnson, die auf der Suche nach einer Wohnung für sich und ihren achtjährigen Sohn Bubb ist, weil sie nicht will, dass er in der Wohnung ihres versoffenen Vaters mit seinen wechselnden Geliebten aufwächst. Sie will, dass es ihr Sohn einmal besser hat.

Luties Ehe ist gescheitert, weil sich Jim, ihr Ehemann und Vater ihres Sohnes, mit einer anderen vergnügt hat, während sie sich bei Chandlers, einer weißen Familie, als Hausmädchen und Köchin verdingt und Little Henry, den Sohn ihrer Arbeitgeber, betreut hat, statt bei ihrem eigenen Sohn zu sein. Bubbs Vater ist arbeitslos und findet in den Vierzigern des letzten Jahrhunderts wie viele andere Schwarze auch keinen neuen Job. Sie laufen Gefahr, ihr kleines Häuschen zu verlieren, wenn sie die Raten nicht mehr bezahlen können. Also sucht und findet Lutie Arbeit. Schwarze Hausmädchen und Zugehfrauen sind sehr beliebt, trotz der über sie grassierenden Vorurteile:

„Ich würde so ein hübsches farbiges Ding nicht unter meinem Dach haben wollen. Nicht bei einem wie John. Weiß man doch, dass die jedem schöne Augen machen. Besonders den Weißen.“

In der Familie ihrer weißen Arbeitgeber, in der sie mit einer für sie völlig fremden Welt, mit völlig anderer Kultur und Werten in Kontakt kommt, macht sie allerdings auch Bekanntschaft mit dem – zumindest in der weißen amerikanischen Bevölkerung – grassierenden Glauben, „dass jedermann reich werden könne, wenn er wollte und hart genug dafür arbeitete und alles genau bedachte.“ Und dazu ist sie auf jeden Fall bereit.

Von diesem Glauben lässt Lutie auch nicht bei der eher deprimierenden Wohnungssuche. Ihre Möglichkeiten sind aufgrund ihres Verdienstes sehr gering. Sie nimmt in der 116th Street eine kleine dunkle Wohnung unterm Dach, obwohl sie beim Treppensteigen den „ganzen Dreck, Papier, Zigarettenkippen, Zellophan von Schnupftabakdosen, abgerissene rosa Kinokarten … und leere Gin- und Whiskeyflaschen“ sieht, ihr Jones, der Super des Hauses, wie er sie ansieht, unheimlich ist und sie die unten im Haus wohnende Mrs. Hedges mit ihren Augen auf Anhieb nicht mag:

„Es waren die Augen der Frau. So reglos und böse wie die einer Schlange. Lutie sah sie ganz deutlich – kalte Augen, die sie fixierten, ihren Körper abtasteten, von Kopf bis Fuß prüften und taxierten.

Lutie zieht mit ihrem Sohn ein, der nach der Schule sich selbst überlassen bleibt, denn sie muss Geld verdienen. Ständig redet sie auch dem Kind gegenüber von Geld, vom Sparen, so dass Bubb sich nach eigenen Verdienstmöglichkeiten umsieht und nicht merkt, wie der Super ihn instrumentalisiert, um über ihn an die Mutter heranzukommen, die ihn permanent abweist, was in ihm Wut und Zorn ins Unermessliche steigen lässt.

Eine verheerende Katastrophe bahnt sich an, zumal auch Lutie in ihrem Bemühen, mehr Geld zu verdienen an die Falschen gerät, an Menschen mit ihren eigenen katastrophalen persönlichen Geschichten, die sie zu denen gemacht haben, die sie jetzt sind und gleichzeitig die gesellschaftliche Bedingtheit dieser Lebensläufe durchscheinen lässt.

Es ist ein Roman mit sprachlicher Wirkmächtigkeit, der ähnlich wie ein Film entsprechende Bilder vor den Augen der Leser*innen entstehen lässt. Die Geschichte der 116th Straße wird nicht nur aus Luties Perspektive dargestellt, sondern auch aus der der anderen Personen, die dort leben: der Jones, des Hausmeisters und Min, einer beim ihm in der Wohnung lebenden Frau, der von Mrs. Hedges, von Bootie, einem Möchtegern-Casanova mit großem Straßenkreuzer, der es auf Lutie abgesehen hat, aber von Junto, einem Weißen, der das Viertel in Harlem beherrscht, weil ihm fast alle Häuser, Casinos, Bars etc. gehören, daran gehindert wird. Junto hat eigene Pläne mit Lutie.

Alle Personen haben unerhörte Schicksale erlebt, die indirekt deutlich machen, dass sie als Schwarze nie die gleichen Chancen gehabt haben wie die Weißen und nur auf mehr oder weniger illegalen Wegen zu Geld gekommen sind. Geld aber – davon ist Lutie bis zum Schluss überzeugt – ist der Schlüssel zu einem halbwegs anständigen, menschenwürdigen Leben. Der Roman endet in einer Katastrophe, äußerlich in einer scheinbar winterlichen Idylle:

„Der Schnee sank leise auf die Gehwege. Er dämpfte alle Geräusche. Er trieb die Menschen heimwärts, und bald lag die Straße verlassen da, leer, still. Und es hätte jede Straße der Stadt sein können, denn der Schnee überzog die Gehwege, die Backsteine der müden alten Mietshäuser mit einem dünnen Film, deckte den Schmutz und den Müll und die Hässlichkeit zu. „

Ein wirklich empfehlens-, lesenswerter Roman mit immer noch aktueller Brisanz und Parallelen, nicht nur im eher fernen Amerika, sondern auch in Europa, vor unserer Haustür.

Ann Petry, The Street, Roman, a.d. amerik. Englisch übersetzt v. Uda Strätling, mit einem Nachwort v. Tayari Jones, München 2020, 383 S., ISBN 978-3-312-01160-5

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