André Gorz, Brief an D.

André Gorz, Brief an D.

Diese „Geschichte einer Liebe“ hat mich tief bewegt. Hier schreibt ein Intellektueller über die Liebe seines Lebens, mit der er mehr als achtundfünfzig Jahre verheiratet war.

Und so beginnt dieser Brief schon auf dem Cover des Büchleins:
„… Kürzlich habe ich mich von neuem in Dich verliebt, und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere, die einzig die Wärme Deines Körpers an dem meinen auszufüllen vermag.“

Dabei war es – dessen ist er sich wohl bewusst – für sie sicher keine einfache Ehe. Doch ihre Unterschiedlichkeiten in vielem war immer Bereicherung, Reichtum, da jeder durch den anderen die Möglichkeit hatte, eine andere Welt, einen anderen Kosmos zu erleben und für sich zu entdecken.

Und sie hatten „etwas Fundamentales gemeinsam„: „Die Erfahrung der Unsicherheit. Deren Natur war bei Dir nicht dieselbe wie bei mir. Gleichviel: Für Dich wie für mich bedeutete sie, dass wir keinen festen Platz hatten. Wir würden nur den Platz haben, den wir uns schufen. Wir mussten unsere Autonomie auf uns nehmen, und später sollte ich entdecken, dass Du darauf besser vorbereitet warst als ich.“

Er bedankt sich bewusst für die Freiräume, die sie ihm zum Schreiben gewährt hat mit den für sie weitreichenden Konsequenzen, dass er oft unleidlich, nicht ansprechbar war und letztendlich zu der Zeit ihren Anteil nicht erkennen und daher auch nicht würdigen konnte. Sie aber wusste immer: Er muss schreiben.

Seine Lebensbilanz: „Ich hatte den Eindruck, mein Leben nicht gelebt zu haben, es immer aus der Entfernung beobachtet zuhaben, nur eine Seite meiner selbst entwickelt zu haben und als Person sehr arm zu sein. Du bist und warst immer sehr viel reicher als ich. Du hast Dich in all Deinen Dimensionen entfaltet. Du standest mitten im Leben; während ich es immer eilig hatte, mich an die nächste Aufgabe zu machen, als ob unser Leben erst später wirklich begänne.“ Und hat erkennt, dass er eher die „Ästhetik des Scheiterns und der Vernichtung, nicht die des Erfolgs und der Bejahung“ gelebt hat. Zum Schaden beider.

Ihr Wohlergehen liegt ihm dennoch am Herzen und so sorgt er nach einer schweren Krankheit liebevoll für sie. „Du hast mir Dein ganzes Leben und alles, was du (!) bist, geschenkt; ich möchte Dir in der Zeit, die uns noch bleibt, alles von mir schenken können.“

Ihren gemeinsamer Wunsch „Jeder möchte den anderen nicht überleben müssen.“haben sie sich dann am 22. September 2007 erfüllt, indem sie beide gemeinsam aus dem Leben geschieden sind.

André Gorz, Brief an D., Geschichte einer Liebe, a.d. Franz. v. Eva Moldenhauer, 4.Aufl. München 2009, 105 S., ISBN 978-3-442-73875-5

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