Brooke Davis, Noch so eine Tatsache über die Welt
„Wie lebt man mit dem Wissen, dass jeder, den man liebt, jederzeit sterben kann?“ Was bedeutet trauern, nicht im Sinne eines Prozesses, der Anfang und Ende hat und bei dem es nur um das Traurigsein geht, sondern als fester Bestandteil des Lebens. Als etwas, mit dem zu leben wir lernen müssen, …“
Mit diesen Fragen hat sich die junge Autorin nicht nur theoretisch beschäftigt. Sie entstanden nach dem tödlichen Unfall ihrer Mutter, von dem sie während einer Reise durch Südostasien per Mail erfahren hat.
Das Ergebnis ist ein, man mag es kaum glauben, humorvoll, witziger, ironischer Roman, in dem drei Menschen – die siebenjährige Millie, der siebenundachtzigjährige Karl und die zweiundachzige Agatha, alle mit großen Verlusterfahrungen – aufeinandertreffen und sich in ihren Komischkeiten zunächst fürchterlich auf die Nerven gehen.
Millie hat ihren Vater verloren und versteht nicht, wie die Menschen sich nach dem Tod des Vater ihr gegenüber verhalten:
Nach dem Tod des Vaters benahmen sich die Leute in der Stadt so, als hätten sie Millie lieb. Ja, Millie, sagten sie. Arme Kleine, sagten sie. Hier ist ein Lutscher für dich, sagten sie. Aber sie wusste, es war nur weil ihr Dad tot war“
In dieser Situation hätte Millie eine Mutter gebraucht, die für sie da ist, sie einfach in den Arm nimmt. Doch die sitzt in ihrer Trauer teilnahmslos auf dem Sofa und schaut unentwegt fern. Millie bleibt in ihrer Trauer allein und findet für sich in dem Ritual, Kerzen für den verstorbenen Vater anzuzünden, wie sie es nach dem Tod ihres Hamsters gemacht, ein wenig Trost, weil die Lichter ein wenig Helligkeit in ihr Dunkel bringen.
Irgendwann geht die Mutter mit ihr in ein Kaufhaus und lässt sie dort einfach zurück mit der Aufforderung, auf sie zu warten. Millie wartet und wartet und wartet. Doch die Mutter kommt nicht mehr zurück, um sie zu holen.
Im Kaufhaus treffen sich Millie und Karl, der sich dort versteckt, weil er aus einem Altenheim ausgebüchst ist und seitdem – veranlasst von Karls Sohn – polizeilich gesucht wird. Karl will Millie helfen, die Mutter zu finden, etwas was für ihn in seiner Einsamkeit Sinn zu machen scheint.
Doch bevor sie sich auf die Suche machen können, müssen sie sich erst einmal vor der Polizei und dem Jugendamt verstecken, die Millie unterbringen wollen. Karl kann nicht ins Altenheim und Millie nicht nach Hause. Also wohin?
Sie kommen bei Agatha unter, einer Frau, die in Millies Straße wohnt. Sie hat seit dem Tod ihres Mannes das Haus nicht mehr verlassen, sich um kaum etwas mehr kümmert, lässt den Garten, ihr Haus verwahrlosen, notiert aber akribisch ihre Alterserscheinungen in einem „Altersheft“ und ist wütend auf ihren Mann:
„Sie wird nicht erleben, wie er als richtig alter Mann aussieht. Es kommt ihr unfair vor, dass sie der Welt zeigen muss, wie sie als alter Mensch aussieht, und er nicht. …
Sie hasst sich selbst, ihren Körper … Tränen rinnen über ihr Gesicht, und sie ist eine alte alte alte traurige traurige traurige Frau, und sie hasst sich, sie hasst sich so sehr; mehr als alles andere ist es dieses Gefühl, das sie am deutlichsten spürt.“
Die drei begeben sich auf die Suche nach der Mutter. Und machen auf abenteuerliche, nahezu märchenhafte Art und Weise Erfahrungen, die sie alle wieder zurück in ihre Lebendigkeit und Liebesfähigkeit bringen, nicht ohne sich vorher gegen ihre „klammheimlichen“ Sehnsüchte und Wünsche nach Nähe, Zärtlichkeit und Geborgenheit zu wehren.
Die Frage „Wie wird man alt, ohne zuzulassen, dass es nur noch Traurigkeit gibt?“scheint beantwortet: Nicht indem „es im Grunde am besten ist, gar nicht erst jemanden gern zu haben“, sondern zu akzeptieren: „Dass, solange man lebt, Menschen, die man kennt, Menschen, die man liebt, sterben werden.“
Und dann auf eigenem Weg wieder ins eigene Leben zu finden.
Es ist ein in jeder Hinsicht sehr offenes, mutiges Buch, das in der Gesellschaft immer noch tabuisierte Themen wie Trauer, Altern und Sexualität im Alter ohne Umschweife aufgreift und dabei kein „Feigenblatt“ vor den Mund nimmt.
Brooke Davis, Noch so eine Tatsache über die Welt, Roman, a.d. Engl. v. Ulrike Becker, Verlag Antja Kunstmann, München 2015, 274 S., ISBN 978-3-95614-053-2